#Roman

Mein Leben als Serienmörder

Josef Kleindienst

// Rezension von Andreas Tiefenbacher

Der in Wien lebende Schriftsteller Konrad Mola nimmt die Rolle des Serienmörders in einer Fernsehproduktion über einen der größten Kriminalfälle Österreichs an. Er verkörpert darin einen Psychopathen, der im Gefängnis sitzt und schon mehrmals versucht hat auszubrechen.

Dass die Rolle auf einem realen Vorbild beruht und von einigen anderen Schauspielkollegen abgelehnt worden ist, beschäftigt ihn. Im Verlauf der Dreharbeiten nimmt er sich immer mehr als „Gefangenen seiner Handlung“ wahr und hat Probleme, zur Filmrolle auf Distanz zu gehen. Er fragt sich, ob sie seine Psyche verändern und wie lange es dauern könnte, bis er sich von ihr wieder befreit haben würde.
Der Gedanke, immer mit dieser Rolle des Vergewaltigers und Serienkillers in Verbindung gebracht zu werden, lässt ihn nicht mehr los. Er hat Alpträume und glaubt, Wahnvorstellungen zu bekommen.
Um sich von dem Ganzen zu befreien, lässt er sich die Haare kurz schneiden und besucht (Freundin Franziska ist mit dem Orchester auf Konzerttournee) nach der Drehabschlussparty mit dem Produzenten des Films Bars im 15. Bezirk, konsumiert ausreichend Alkohol und pumpt sich mit Kokain voll, ohne hinterher zu wissen, wie er nach Hause, zu den Kratzspuren auf seinem Oberkörper und dem Ring mit der Widmung Für Olivia. In Liebe gekommen ist, was ihn nervös macht.
Dieses Gefühl wird noch stärker, als er kurz darauf in den Nachrichten im Radio hört, dass man zur selben Zeit dort ganz in der Nähe eine 25jährige Sexarbeiterin namens Olivia G., die aus Schweden stammt und seit einem Jahr in Wien lebt, in ihrer Wohnung tot aufgefunden hat. Dazu kommt, dass nach Auswertung der Videokameras in der Umgebung zu sehen ist, wie er die junge Prostituierte anspricht, kurz mit ihr im Haus verschwindet und dann wieder im Eingangsbereich auftaucht und davonwankt.
So sehr Konrad Mola auch versucht, sich an den Ablauf dieses Abends zu erinnern: es gelingt ihm nicht. Deshalb nimmt er an, in jener Nacht ein Trauma erlitten und alles vergessen zu haben, was er zwischen den Barbesuchen und dem Aufwachen in seinem Bett gemacht hat.
Er sucht einen Psychiater auf und hofft, dass der ihm hilft, alles, was in seinem Unterbewussten verschollen ist, irgendwie wiederzufinden. Der allerdings dämpft seine Hoffnungen, kann es doch bei übermäßigem Alkoholgenuss passieren, dass die Übertragung vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis ausfällt und man (weil aufgrund der Betrunkenheit einige Zeitrezeptoren nicht mehr funktionieren) nach wenigen Minuten vergisst, was man getan hat.
Für den ermittelnden Kommissar schaut die Faktenlage so aus: Konrad Mola „ist in der Nähe des Tatorts gewesen, männlich, hat wahrscheinlich als einer der Letzten mit dem Opfer gesprochen und Tage zuvor einen Frauenmörder gespielt“; ein Mix, der ihn von einer Auskunftsperson in einen potenziellen Täter verwandelt.
Das nagt an ihm, hat sich doch innerhalb von fünf Wochen sein Leben irgendwie in Luft aufgelöst. Aber ihm ist klar, dass es nichts bringt, deswegen in Panik zu verfallen. Er sollte „cool bleiben“.
Aber cool ist er noch nie gewesen. Vielmehr glaubt er, kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen, als er mit der Schlagzeile „TV-Mörder unter Mordverdacht“ auf das Titelbild einer Gratiszeitung gerät.
Plötzlich ist seine Facebook-Seite mit Beschimpfungen von Leuten zugemüllt, von denen er noch nie etwas gehört hat; wird von Bekannten angerufen, denen er höchstens einmal im Jahr über den Weg läuft; zu einer Fernsehtalkshow eingeladen, die sich dem Thema „Sex und Schmerz, Widerspruch oder Lustgewinn?“ widmet; sieht sich mit dem Misstrauen seiner Freundin konfrontiert; wird für ein schmuddeliges Klatsch- und Tratschblatt interviewt und schließlich darüber aufgeklärt, dass es einen vergleichbaren amerikanischen Fall gibt, in dem der Mann dann die Zeitung verklagt und eine ziemliche Summe Geld herausschlagen kann.
Damit nicht genug: Es sind auch noch die U-Bahn-Stationen der Stadt mit seinem Konterfei „zugepflastert“. Auf dem ist er zwar nicht sonderlich scharf abgebildet, aber doch deutlich erkennbar, was genügt, um eine Freundschaftsanfrage von Hans Christian Vogel zu erhalten, den er im Film gespielt hat. Das trägt nicht zur Beruhigung bei. Im Gegenteil. Er darf sich als stadtbekannter Prostituiertenmörder fühlen, dem zu blühen scheint, „auf den Müllhalden der Information“ entsorgt zu werden.
Die Welt ist ihm unberechenbar geworden. Er hat Atemnot, verhält sich wie jenseits aller Logik und hat nur noch die Schuldfrage im Visier: Wenn er nämlich schuldig wäre, könnte er nichts dagegen tun. Es wäre nur blöd, wenn er unschuldig wäre, „aber als schuldig betrachtet werden würde“.
So vertraut er sich einer auf Medienfälle spezialisierten Anwältin an. Denn als Mordverdächtiger dazustehen, belastet. Von Tag zu Tag sieht er mitgenommener aus.
Bleibt als einziger Trost die Erkenntnis, „dass Dinge sich schnell wieder ändern können. Ein paar Schachzüge in die richtige Richtung und die Welt erscheint in einem anderen Licht“.
An diesem Hoffnungsschimmer hantelt sich der Roman mit Bravour entlang. Die Verzweiflung des Helden, der mit viel Skepsis und Unsicherheit konfrontiert wird, ob man ihm einen Mord zutrauen kann, ist deutlich spürbar. Er empfindet auch Reue, in diesem bescheuerten Film überhaupt mitgewirkt zu haben. Andererseits ist er aber fast pleite. Da nimmt man eben auch einmal ein Angebot an, ohne genauer hinzuschauen.
Und dass ihn das Gratisblatt quasi als Aufhänger benutzt, um Quote zu machen, weil es vor dem Bankrott steht, ist natürlich nicht abzusehen gewesen. Da kann es durchaus von Vorteil sein, wenn man erkennt, dass sich alles sehr schnell ändern kann: „Was heute wahr ist, ist morgen bloß eine Möglichkeit von vielen. Und was heute bloß eine Möglichkeit ist, ist morgen schon wahr.“
Wahr ist auch, dass diese um ein Blackout gebaute Geschichte nicht nur sehr abwechslungsreich und realitätsnah erzählt wird, sondern der als Impetus der Handlung fungierende Kriminalfall das Spannungsbarometer ungemein in die Höhe treibt. Er ermöglicht eine facettenreiche Innenschau auf den Helden, die geprägt ist von seinen Verunsicherungen, Verwirrungen und Selbstzweifeln. Josef Kleindienst stellt sie mit großem Feingefühl und starker Empathie in kurzen, prägnanten, schnörkellosen Sätzen und lebendigen, treffsicheren Dialogen bunt und abwechslungsreich dar.
Der Umstand, dass Schauspieler, die einen Mörder spielen, bis zu fünf Stunden nach ihrem Auftritt vor dem Gesetz als nicht zurechnungsfähig gelten, trägt wie der Gedächtnisverlust oder die sensationsgierige Boulevardpresse gleichfalls dazu bei, dass der aus der berechenbaren Normalität herausfallende Held in eine Identitätskrise stürzt. Sie erweist sich als handlungstragendes Moment und lässt das Ich in einen Schwebezustand gleiten, den der Autor anschaulich und mit viel Verve zu gestalten weiß.
Über allem liegt ein feiner Dunst, der die Dinge undeutlich macht und ein wenig verzerrt. In ihm fühlt sich nicht nur die Wiener Seele wohl, sondern der ganze Roman. Auch ihm täte zu viel klares Licht nur weh. Denn die Aufmerksamkeit, die er verdient, erhält er aufgrund seiner Stärken auch so.

Josef Kleindienst Mein Leben als Serienmörder
Roman.
Wien: Sonderzahl, 2022.
184 S.; geb.
ISBN 978-3-85449-586-4.

Rezension vom 16.03.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.