#Prosa

Maria T.

Gertrud Spat

// Rezension von Sigurd Paul Scheichl / Monika Kollmann

Georg Trakl aus einer anderen Perspektive – das interessiert, selbst wenn man allem Biografismus skeptisch gegenüber steht, selbst wenn diese andere Perspektive, die seiner Mutter, fiktiv bleiben muss, da es sie real nicht gibt: Dokumente von Maria Trakls Hand haben wir kaum.

Doch Nachdenken über äußere Umstände von Trakls Lebens löst diese Perspektive allemal aus. Wie geht eine bürgerliche Familie mit Kindern um, die den Normen ihres Milieus sich anzupassen nicht fähig noch bereit sind? Wie mag es überhaupt mit Ausgang des 19. Jahrhunderts in einer wohlhabenden Familie mit vielen Kindern zugegangen sein? Maria Trakl, Mutter von sieben Kindern, von denen fünf den Ersten Weltkrieg überlebt haben, hat keinen einzigen Enkel gehabt – doch ein Indiz dafür, dass die Familie weniger ’normal‘ gewesen sein dürfte, als man anzunehmen geneigt ist.

Insgesamt erliegt das Buch durch seine Anlage leider der Gefahr, bloß Wahrscheinliches, Erschlossenes, Erdachtes, Gerüchte als gewiss auszugeben. Sowohl die von der Verfasserin gewählte Ich-Form – Maria Trakl erinnert sich kurz vor ihrem Tod (1925) an ihr Leben – als auch der beigegebene Fototeil tragen zum irreführenden Eindruck von Authentizität bei.

Man braucht das Buch – das sehr wohl einige neu recherchierte Informationen enthält – aber nicht als GermanistIn lesen, darin nicht einen wissenschaftlichen Beitrag zur Trakl-Biografie sehen. Versteht man es, im Sinne des Untertitels, als einen Roman über bürgerliches Familienleben in Österreich um 1900, überhaupt über Ehe- und Familienleben, über Mutterliebe, über die Anpassungsschwierigkeiten von Eltern an Kinder und Kindern an Eltern, über das Anderswerden von Kindern, über die (seither nicht verschwundenen) Schwierigkeiten des Eltern- und zumal des Mutterseins, mit einem Wort: Liest man es mehr als Fiktion denn als Biografie, gewinnt das Buch.

Manches – die Entdeckung des Inzests, viele reflektierende Passagen, Inkonsequenzen in der Perspektive – ist allerdings literarisch wenig geglückt, sprachlich ist der Text über weite Strecken blass. Besonders überzeugend dagegen das fiktive Gespräch zwischen Maria Trakl und Ludwig von Ficker.

Ob es gut war, das Thema „eine Mutter“ an eine (obendrein kaum präzis fassbare) historische Figur zu binden und damit den Status des Werks zwischen Sachbuch und Fiktion offen zu lassen? Wir fürchten, dass dieses Verfahren den Blick auf die eigentliche Qualität des Werks verstellt. Die Romanform würde Erfindungen und ‚Ergänzungen‘ unseres Wissens über Trakl gestatten; doch lässt einen das Buch immer wieder den Anspruch spüren, es berichte eigentlich sehr wohl auf Grund von Recherchen (die die Verfasserin ja in der Tat durchgeführt hat) über eine reale Person und deren familiäres Umfeld. (Das soziale Milieu, in dem die Familie gelebt hat, bleibt weit gehend ausgeblendet.) Sprachlich spiegelt sich diese Unentschiedenheit im Schwanken zwischen Sachlichkeit und Stilisierung. So enthält das – grafisch sehr schöne – Buch, für die an Trakl Interessierten trotz den neuen Informationen zu viel Fiktion; die Leser und Leserinnen von Romanen werden Schwierigkeiten mit dem Anspruch auf Faktizität haben. Uns scheint es insgesamt vor allem für Romanleser bestimmt.

Als Heraufbeschwören eines Stücks Mentalitätsgeschichte, als Erzählung über das Mutter-Sein, über den Umgang mit außergewöhnlichen Kindern verdient Maria T. eine Mutter mehr Beachtung denn als (letztlich doch halb-fiktive) Biografie, ja verdient die „Biographie einer Mutter“ – so der ursprünglich vorgesehene Untertitel – durchaus Beachtung.

Maria T. Eine Mutter.
Frankfurt am Main, Basel: Stroemfeld Verlag, 2003.
263 Seiten, gebunden.
ISBN 3-87877-826-0.

Rezension vom 20.10.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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