#Roman

Maria malt

Kirstin Breitenfellner

// Rezension von Evelyn Bubich

Die Beharrlichkeit auf Augen, Mund und Kinn gebannt, blickt eine Frau der betrachtenden Person direkt ins Gesicht. Die Frau sitzt auf einem Motorrad. Die Frau ist nackt. Sie ist ein auf Leinwand projiziertes Abbild, eine Art Variation einer der faszinierendsten Maler:innen des 20. und 21. Jahrhunderts – es handelt sich um ein Selbstporträt von Maria Lassnig, das unter dem Werktitel Landmädchen 2001 entstand.

Dem Bild ist seine Drastik nicht abzusprechen, sie ist ihm inhärent; sie blickt aus ihm heraus. Drastik sei offenkundig und sehr stark, hat Lassnig einmal in einem Interview gesagt und dabei auf die nackte Wahrheit einiger ihrer aus persönlicher Sicht »eindeutigen« Bilder verwiesen. Oft seien Bilder vieldeutig, erzählte sie weiter, doch in der Eindeutigkeit – vielleicht in der Deutlichkeit, mit der sie zutage tritt – liege die Drastik. Auf die Substanz ebendieser Drastik ist auch die Schriftstellerin Kirstin Breitenfellner aus, die Maria Lassnig – in ihrer Präsenz als Künstlerin, als Mensch, insbesondere als Frau, die eine Künstlerin ist – eine literarische Erinnerungslandschaft malt, die durchfasert ist von dem, was diese Malerin auch ausgemacht hat: eine »Lebensheirat mit der Malerei«, eine bedingungs- und kompromisslose Hinwendung zu ihrer eigenen Kunst, eine »Untauglichkeit für das Leben und eine Versäumnistodesstrafe für die Liebe«, wie sie einmal selbst notierte.

Gleichsam akribisch hantierende Lassnig-Biografin wie ausgeklügelte Sprachkünstlerin, kaleidoskopiert die Autorin das Leben einer außergewöhnlichen Frau, die 1919 in Kappel am Krappfeld, Kärnten, Koroška, wo »das Tausendguldenkraut blüht und mit ihm die Träume von einer anderen Welt« in für damals gewöhnlich-ärmliche Verhältnisse hineingeboren wird. Es sind klare, hellwache, belebte, glühende Sätze, die in ihrer Gesamtheit einen Roman entstehen lassen, der auch die Widersprüchlichkeiten in Lassnigs privatem, beruflichem und künstlerischem Werdegang deutlich macht, nicht wenige davon gesellschaftlich zu verorten: das Sträuben einer Frau – Eiserne Jungfrau und fleischige Jungfrau (Selbstporträt, Öl auf Leinwand, 2004) – aus der ärmlichen Provinz gegen Konventionen des frühen (und späten) 20. sowie des frühen 21. Jahrhunderts; ihr Einzug in die Männerdomäne Kunstwelt, Leid und Aufbegehren, ihr Durchsetzungsvermögen, das ihr letztendlich internationale Bedeutung in der Kunstszene einbringen sollte.

Der Kunst- und Kulturbetrieb gehört den Männern, weil er ihnen immer gehört hat; wer das akzeptiert, hält sich den Schleier vor die Stirn, zieht keine Grenze zwischen Gegenwart und Zukunft; nur die Männer fahren mit dem Motorrad, so auch »der Hubinger Anton«, Marias »echter Vater«, der »enttäuscht war, dass sie kein Bub gewesen ist« – und Maria »weiß nicht, was sie fühlen soll, denn sie hat noch nie einen Vater gehabt« –, doch Maria setzt auf das Gefühl und auf das Gefährt und sich darauf und »fährt der Zukunft entgegen und der Gegenwart davon. Sie hat den Geschwindigkeitsteufel in sich und malt sich mit nacktem Oberkörper und Hörnern auf dem Kopf, die ein Lenkrad sind. Sie sitzt auf dem Motorrad und hat keine Zeit zu verschwenden«. Maria will nicht urassen [ktn.] mit ihrer Zeit, sie fährt ihr davon, Liebschaften unterhält sie vornehmlich mit jüngeren Männern, denn »junge Männer sind so leicht verständlich. Sie wollen Sex und spenden körperliche Freude, die einzige ehrliche, eindeutige Freude. Auch die alten Männer wollen Sex, aber sie wollen ihn als Gegengeschäft, als Machtspiel, sie wollen Sex mit jüngeren Frauen als Gegengabe für eine Karriere, die dann doch keine Karriere wird, weil die junge Frau eine junge Frau ist. Die jungen Männer werden von ihrem Körper dirigiert, und der Körper ist unschuldig«. Zeitlebens bleibt Maria Lassnig bescheiden – vielleicht ein Mittel, um die Arroganz der Männer zu überwinden, Maria malt gibt Zeugnis von der Notwendigkeit der inneren Beständigkeit einer Frau.

»Büchsenmacher nennt man Männer, die nur Mädchen zu zeugen imstande sind. Riedi [so nennen sie Maria als Kind] versteht. Mädchen sind keine Gewehre, sondern leere Gefäße. Und Mädchen müssen schön sein.« Das sagt auch die Mutter, »Mutting«, wie Maria sie nennt, und von der sie erst verlassen, später aber unterstützt wird; schließlich steckt in Maria ein Potenzial, das sie nach Wien, nach Paris, nach New York und auch wieder »zurück ins Heimatland«, und wenn auch nicht zu der von Mutting so herbeiersehnten Eheschließung, dafür aber zu einer von vielen, von Ironie nicht freien Selbstumwanderungen mit dem Pinsel wie der Illusion von den versäumten Heiraten führen sollte. Maria drückt fest auf mit dem Pinsel, Maria malt – und sie malt sich auch das irrationale Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau von der Seele; sie dreht den sprichwörtlichen Spieß um.

In diesem Roman – ein Mosaik aus fundiert zusammengetragenen Anekdoten, biografischen Notizen, literarischer Annäherung wie rauschend-gehaltvoller Erzählprosa – ist die Sprache im Fließen begriffen, wie vielleicht auch die (farblichen) Spuren im Leben und Œvre Maria Lassnigs. »Das Leben ist ein Mosaik, dessen Zwischenräume flüssig sind und das deswegen seine Gestalt nicht halten kann« – vielleicht liegt hierin die scheußlich schöne Nacktheit der Wahrheit, von der Maria Lassnig in ihren Bildern spricht – und Kirstin Breitenfellner in diesem kraftvollen Roman.

Kirstin Breitenfellner Maria malt
Roman.
Wien: Picus, 2022.
464 S.; geb.
ISBN 978-3-7117-2130-3.

Rezension vom 25.10.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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