Sperbers Leben spielte sich ab zwischen dem ostgalizischen Schtetl Zablotow (in der Nähe von Joseph Roths Brody), Wien, Berlin und Paris, zwischen der Schweiz, Russland und Jugoslawien. Zehn Jahre lang hielt er sich im Umfeld von Alfred Adler und dessen individualpsychologischer Schule auf, bevor er sich von diesem Kreis abwandte, und zehn Jahre lang arbeitete er als Parteifunktionär der KPD und Komintern, bevor er hier 1937 den Schlussstrich zog. Aber die Auseinandersetzung mit den totalitären Systemen verfolgte ihn bis zu seinem Lebensende. Die Politisierung Sperbers hat ein Datum: Es ist der 15. Juli 1927, der Brand des Wiener Justizpalastes, der für ihn vor allem das Debakel der österreichischen Sozialdemokratie war. Die Beschreibung nimmt nicht nur eine „Scharnierstelle“ in seinen Erinnerungen ein, sondern hat ausstrahlende Bedeutung für seine späteren Essays, die man neben der düsteren Komintern-Saga „Wie eine Träne im Ozean“ mit gutem Grund für das bedeutendste Element seines Werks halten kann.
Mirjana Stancic hat ihre facettenreiche, detailgenaue und darüber hinaus lesbare Arbeit den Versuch genannt, „aufs Ganze zu gehen“, weil sie nicht nur ein Panorama entfalten, sondern unerschlossenes Terrain betreten wollte. Sie erschließt viele unbekannte Dokumente aus dem Nachlass, darunter Sperbers „Abschiedsbrief“ von 1937 an die Pariser Parteifreunde oder die Briefe zur Kontroverse zwischen Hans Sahl und Sperber, und sie zitiert aus den Akten und Dossiers, die sie dem Archivstaub entrissen hat, die von Sperbers Konfrontationen mit jener Internationale der Polizei erzählen, der er in „Wie eine Träne im Ozean“ auf der Spur war.
Dass die Biographie im Verlag des früheren SDS-Vorsitzenden KD Wolff erscheint, erzählt nebenbei von einer doch noch stattgefundenen Rezeption der Renegaten, die zu den misstrauischen Beobachtern der 68er Bewegung geworden waren (auch Sperbers Sohn Dan gehörte zu den Beteiligten), durch die westeuropäische Linke. Wolff hat Sperber 1979 in Paris besucht und 1984 den Nachruf für die „taz“ geschrieben. Und Joschka Fischer hat im Januar 2001 in einer Debatte im deutschen Bundestag über seine „linksradikale Vergangenheit“ auf die Bedeutung der (späten) Lektüre von Sperbers Werken verwiesen.