#Prosa

Manchmal rufe ich dorthin

Petra Ganglbauer

// Rezension von Stefan Schmitzer

Mut zur Schönheit –
Manchmal rufe ich dorthin, das neue Buch von Petra Ganglbauer, ist mutig. Allen Ernstes gewagt. Jedenfalls ist es hart. Nicht, weil es extra-schnodderig den Tonfall des Popliteratur-Kollegiums imitiert bzw. überbietet, sondern weil es eben dies nicht tut. Was bei diesem Thema sowas von aus der Mode, unzeitgemäß, daneben ist, daß man nur „mutig“ sagen kann. Und staunen. Daß der Mut dann auch noch fruchtet.

Welches Thema? – Der Krieg mit seinen Grausamkeiten, gegenübergestellt einer zerbrechlichen, sozusagen ländlichen Traumwelt, die uns aber sehr schnell klarmacht, daß sie deshalb noch lange kein Idyll zu sein braucht. Eigentlich genau die Sorte von Spannungsfeld, aus dem die idealtypischen Zynismen/Ironien der politisierteren Enzensberger-Epigonen seit dreißig Jahren in unseren Lesegeschmack gelangen. Nur, daß solche Spannungsfelder den genannten Herrschaften hauptsächlich als Steinbruch zur Darstellung der Verwerfungen im Subjekt dienten/dienen und kaum je zum unangefochtenen Fokus einer Arbeit wurden.

Bei Ganglbauer ist das anders, der Steinbruch liegt (tektonisch passend) in den Verwerfungen, die Zuständ‘ sind wichtiger als der Umgang mit ihnen. Aber das allein wäre nichts Neues, das wissen wir schon seit „Täter sind Risse“ (Milena). Die Art und Weise aber, wie hier dank schierer Ernsthaftigkeit einer auf den ersten Blick naiven Form – der frontalen Gegenüberstellung – Genauigkeit abgewonnen wird, Differenziertheit, schließlich eben auch eine streckenweise atemberaubende Schönheit: Das ist neu.

Wenn man das Buch aufschlägt und die ersten paar Seiten liest – nämlich solange, bis man sich in der Form zurechtfindet, links Kriegsgebiet (von dem man annimmt, es müsse irgendwo auf dem Balkan sein, bis man sich im „befriedeten“ Irak wiederfindet), rechts Traumgetümmel – denkt man sich zweierlei. Erstens: Oje. Wenn das nur gutgeht. Fragile Sprache, die fast nur mit dem Aufdröseln von Redewendungen arbeitet, sanft dekonstruierte Metaphern: Wenn das nur den Content trägt, ohne zusammenzubrechen! Zweitens: Da muß wohl irgendwo eine Pointe sein, eine „story“, die die beiden Hälften zusammenführt, die uns befriedet, die das Träumerinnen-Subjekt kraft der autoritären Kriegswirklichkeit mit Kohärenz beseelt. Bin ich zu blöd, den Aspekt zu finden?
Und wegen dieser zweiten Frage liest man dann übergenau, lässt sich jeden einzelnen Satz auf der Zunge zergehen, immer auf der Jagd nach dem wohlvertrauten Geschmack eines konventionellen „Inhalts“. Dabei vergisst man die Sorge von Frage eins, und siehe da: Es geht gut, nichts bricht zusammen. Auf der Ebene der Bilder – der Hauptebene des Bändchens – korrespondiert da so allerhand zwischen Links und Rechts, Krieg und Frieden. Nur eben nicht greifbar bis hinein in die Niederungen von „Und dann erwachte sie und öffnete ihre Wohung für Flüchtlinge“. Obwohl ein solches Verhalten – so spricht es der Text recht unverblümt aus – für uns Wohlstandskinderchen durchaus angemessen wäre.

An einigen seltenen Stellen – das muß wohl dazugsagt werden – wird die Ernsthaftigkeit hölzern, verliert die Tragkraft, splittert: Dann klingt der Text für ein, zwei Zeilen wie der Sprechertext eines Fernsehbeitrags zu „sozialen Belangen“. Selten genug. Bei weitem verzeihlich. Einen halben Absatz später schon wieder vergessen. Weil wir dann entweder angeekelt, aber unfähig, uns abzuwenden, Folter und Mord beobachten, oder – Teilchen unter Teilchen – durch den Raum der schönen, verfremdeten Welt der Träumerin treiben, von der gesagt werden kann, was Jim Morrison so unvergleichlich simpel in „The crytal ship“ auf den Punkt bringt: „Her days are bright / and fill’d with pain…“

Die Verlagsinfo und der Klappentext informieren uns: „…bis der Bereich des Imaginären überhand nimmt.“ Ein Eindruck, den ich nicht zu teilen vermag. Die Imagination gewinnt an Greifbarkeit, ja. Diese Sache, und jene Sache, und die da drüben auch noch, ja, die alle gibt es. Absatz für Absatz. Immer klarer wird, wohin das führt. Auf den Gipfel, den letzten Satz, die letzte Seite zu: „Das Licht fällt auf manchen Schrei, der endlos dauert.“ Auch den Krieg gibt es. Die entmenschte Menschheit.
Nichts menschliches ist diesem Buch fremd, soweit es in den Schwebezustand eines Ganglbauer’schen Bildes übergehen kann. Und die Bildhaftigkeit selbst ist es auch, sehr grundlegend, die die einzelnen Bilder verklammert. Das Oszillieren zwischen ihnen tut weh. Ebenso die Nüchternheit, mit der wir konstatieren müssen, daß es vom Gesichtspunkt des Traumes aus kaum Unterschied zwischen Folterer und Gefoltertem gibt: Beide sind latent Ausgangspunkt von Traumbildketten.
Dieser Krieg ist über uns hereingebrochen, und seine Träume sind nicht weniger wirklich als die anderen. Das ist das Entsetzliche an Manchmal rufe ich dorthin, und das Wunderbare.

Petra Ganglbauer Manchmal rufe ich dorthin
Prosa.
Wien: Milena, 2004.
103 S.; brosch.
ISBN 3-85286-123-3.

Rezension vom 15.11.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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