#Prosa

Manchmal das Paradies

Erika Wimmer Mazohl

// Rezension von Helmuth Schönauer

Das Paradies ist einerseits unendlich wie das Weltall und andererseits irdisch wie das eigene Körpermaß. Am Schnittpunkt dieser beiden gedanklichen Koordinaten versucht die Erzählerin, ihr Leben zu verankern, Bilanz zu ziehen und die Lebensumstände neu zu bewerten.

Äußerer Anlaß für diese lohnenswerte innere Reise ist die Liebe, die wie in der Literatur üblich als Blitz mitten in einem Berliner Lokal einschlägt. Die Erzählerin trifft auf den Lebenskünstler Humen, der – wie schon der Name andeutet – eine glückliche Mischung aus Humor, Humanität und erdverbundenem Humus zu sein scheint. „Humen und ich hielten uns nicht lange auf, wir ließen künstlerische Verhüllungen und modische Entgleisungen auf sich beruhen und lernten einander erst einmal richtig kennen.“ (S. 7)

Nach einem kurzen Umweg über Paris nach dem Motto, Zeit und Entfernung spielen in der Liebe keine Rolle, reisen die beiden in ein Tiroler Hochtal, wo Humen ein Projekt zur Jahrtausendwende installieren soll.

Die Erzählerin, als Installationskünstlerin schon beinahe an ihrem eigenen Werk gescheitert, entdeckt auf dieser Tour d’Amour sich und die Welt neu. Erstaunt darüber, mit welcher Leichtigkeit Humen eine leere Tribüne als Zeichen der größten Veranstaltungsdichte im Gebirge errichten will, reflektiert sie über die eigenen Kunstwerke. Als Schlüsselwerk tritt dabei eine Fleisch-Installation aus der Erinnerung hervor, und die Künstlerin kommt zur Erkenntnis, daß man Fleisch zwar zertreten und zerschneiden, nicht aber vernichten kann.

Neben der so lang vernachlässigten eigenen Kunst ist es vor allem die Kindheit, die so lange brach gelegen ist und sich erst jetzt im Hochtal zu abgerundeten Bildern auswächst. Anläßlich eines Besuches im Heimatmuseum lösen die ausgestellten Gerätschaften und Fotos jeweils Reflexe auf die eigene Vergangenheit als Kind am Bauernhof aus. „Es passiert von einem Augenblick zum anderen, daß sich der Blick verändert: Man entledigt sich der Begriffe und richtet die Aufmerksamkeit zugleich nach außen und nach innen. Man lädt die Bilder, die äußeren und inneren, nicht auf, beläßt sie roh, läßt sie zueinander, sie vermischen sich nicht, jedes bleibt an seinem Platz und gilt für sich, aber bald wird fühlbar, daß ein jedes das andere sein könnte.“ (S. 43)

Die dritte Reflexionsebene ist im Verhältnis zum Lieblingsbruder Manfred angesiedelt; dieser ist Leitbild, Korrektiv, Geldgeber und brüderlicher Aufpasser in Personalunion. Er ist maßgeblich daran beteiligt, daß die Erzählerin den Kultursprung von der Welt der Bergbauern nach Berlin geschafft hat.

Am Schluß läßt sich die Erzählerin auf die Projekte der einheimischen Kulturarbeiterin Johanna ein, die täglich einen Spießrutenlauf durch kleinkarierte Denkmuster der bodenständigen Kulturschützer hinzulegen hat. Die Kunsttheorie der Großstadt, das schwerelose Konzept von Installationen, die globale Aktualität zeitgenössischer Kunst werden mit einem Schlag zu einer mißverstandenen Karikatur, wenn sie im Hochtal den Einheimischen im Verhältnis eins zu eins präsentiert werden sollen.

Gegen die Gedanken der Gebirgsbewohner ist letztlich auch Humen machtlos, der sein Jahrtausendprojekt gezwungenermaßen als Symbol für irgendetwas umdeutet, was seinen „Nutzen bereits im Vorfeld erbracht hat“ (S. 122).

Ziemlich abrupt bricht das Paar auf und verläßt das Gebirgstal – Mission impossible! An der nächsten Tankstelle ist auch Humen verschwunden, nur vier seiner Tonbänder bleiben im Handschuhfach zurück.

Erika Wimmers Erzählung besticht durch das Selbstbewußtsein, mit dem literarische Mittel eingesetzt sind. In der Literatur ist schließlich das möglich, was in der sogenannten Realität durch Ort, Zeit und die Schwerkraft der Verhältnisse unmöglich ist. Wenn das Paradies zwischendurch auftaucht, warum soll man es dann nicht beim Namen nennen?

Die Autorin hat eine Zeit lang im Osttiroler Villgratental als Dorfschreiberin gelebt. In einigen Sequenzen des kulturellen Hochgebirgskampfes hat sie dem Vater der Tiroler Widerstandsliteratur, Johannes E. Trojer, ein wetterfestes Erzähldenkmal gesetzt.

Manchmal das Paradies.
Erzählung.
Wien, München: Deuticke, 1999.
126 Seiten, gebunden.
ISBN 3-216-30470-1.

Rezension vom 18.08.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.