#Sachbuch

Man darf nicht leben, wie man will

Gerhard Fritsch

// Rezension von Wolfgang Straub

Einer der beiden Herausgeber des Bandes, Klaus Kastberger, schreibt in seiner Einleitung davon, die Tagebücher Gerhard Fritschs seien nichts weniger als „die Folie seiner Literatur“. Das verwundert auf den ersten Blick, hat der vielbeschäftigte Autor doch nicht durchgehend Tagebuch geführt, sondern zwischen 1956 und 1964 vier Anläufe zu dieser schreibenden Selbstreflexion unternommen. Die in Schulheften gestarteten Versuche dauerten jeweils einige Monate lang. Dazwischen verstummte das Diarium wieder für ein, zwei Jahre – alles in allem ergibt das nicht mehr als 140 Druckseiten.

Aber Kastberger übertreibt nicht. Hier liegt tatsächlich eine Grundlage des schriftstellerischen Werks vor, das man in Hinkunft mit dem Wissen aus diesem „‚intimen‘ Tagebuch“, wie Fritsch es selber nennt, wird lesen müssen. Die interpretatorische Lücke zwischen dem „traditionellen“ Gesellschaftsroman „Moos auf den Steinen“ (1956) und dem völlig anders gearteten „Fasching“ (1967) kann nun geschlossen werden, beide Texte rücken näher aneinander. Der Angelpunkt ist Fritschs Transvestismus als Crossdresser, wie man das heute bezeichnen würde. Wenn man es biographisch zuspitzen möchte, liefert das Tagebuch dafür eine „Urszene“: Im Juli 1956 notiert Fritsch: „Damals, der ‚Fasching‘, 1951 in Ottakring. Die erste Schminke und die ersten Clips“. Das Tagebuch reflektiert die Möglichkeiten, mit einer Neigung umzugehen, die in Zeiten Conchitas im medialen Mainstream angekommen ist und niemanden mehr aufregt, die Fritsch in den 1950er und 1960er Jahren jedoch nur klandestin leben konnte. Der Satz „Man darf nicht leben, wie man will“, den man für den Titel auswählte, bezieht sich allerdings nicht auf den Transvestismus, sondern auf den Wunsch nach einem Neuanfang mit einer neuen Partnerin („Mit B. beginnen – Hirngespinste!“).

Das Diarium ist von Anfang an als Ort der Selbstbeobachtung, der Selbstvergewisserung geplant. Das betrifft die Entwicklung der politischen Einstellung Fritschs von einem KP-Mitglied (1950) zu einem pragmatischen SPÖ-Beitritt 1952, wobei sich Fritsch eigentlich auf dem „Weg zum Katholizismus“ (1956) befand. Viel Raum nimmt die Frage ein, wie mit den klandestinen Verkleidungsbedürfnissen umgegangen werden soll bzw. wie sie in den Alltag einzubauen sind („Danach habe ich an diesem Abend wieder eine Kostümierung veranstaltet und so den Umbruch der Bücherbriefe gemacht“). Diese Notate beinhalten auch, als erster Schritt auf eine Poetik zu, das Nachdenken darüber, wie der Transvestismus für das Schreiben produktiv – oder gar zu einer Haltung – gemacht werden könnte: „Konstruktives (strukturell männliches) Denken führt zu dürren Skeletten, zu Arbeiten von Johnson, Jens etc. Geistige Bisexualität des Autors als günstigste Basis?“ Zugleich ist Fritsch als Begriff – wohl wegen dessen Fragilität – das Männliche sehr wichtig: Ein Bekannter wird als „Aufrecht. Männlich“ charakterisiert; das Kriegsrelikt „Kameradschaft“ taucht – zeittypisch – immer wieder auf; und dann gibt es noch die „echte Mannbarkeit (nicht die physiologische, die ein Danaidengeschenk ist)“.

Das Tagebuch dient auch der Bewältigung des Alltäglichen – und zu bewältigende Probleme gab es offensichtlich sonder Zahl, allen voran eine beengte Wohnungssituation, Arbeitsüberlastung und Geldsorgen. Fritsch schreibt von einer „endlosen Tretmühle“ – „wann soll man da den Roman schreiben??“ Der aufreibende Zwiespalt zwischen Broterwerb und dem Wunsch, (mehr) Schriftsteller zu sein, kulminiert in einem Eintrag, der auch die Selbstironie zeigt, mit der Fritsch auf seine Situation blicken konnte. Nach einem Ministeriumsbesuch, bei dem ihm die Finanzierung einer Reise zugesagt wurde, schmiedet er euphorisch Pläne für die künstlerische Produktion der kommenden beiden Monate („Hörspiel und Roman“), dann allerdings sei die „Hochstimmung […] direkt in einen überdimensionalen Nachmittagsschlaf“ übergegangen, „der die Absicht, heute noch mit dem 13. Kapitel zu beginnen, zunichte machte.“ Es gibt während der Lektüre laufend solche Stellen, die man zitieren möchte, unter anderem auch, weil sich Fritsch als Meister des Bonmonts zeigt: „Der Gummibusen als Symbol der Zeit, die mit ihrer Pubertät nicht mehr fertig wird.“

Fritsch wird nicht zu Unrecht als österreichischer Prototyp des Literaturfunktionärs bezeichnet. Da kann man vom Tagebuch Betriebsklatsch erwarten – und wird nicht enttäuscht: Okopenko sei „einwandfrei ein Narziß“; an Mayröcker beobachtet er eine „schöne, verschlafene Sinnlichkeit“, an Jandl einen „ehrgeizig krampfigen Intellekt“; und mit Rudolf Henz, Beispiel eines über Diktaturen hinweg kontinuierlich Einflussreichen, geht er zum Heurigen, „nachher zeigt er mir seine Orden.“

Zur Qualität der Edition trägt das Personenregister und insbesondere der umfassende, fast hundert Seiten lange Stellenkommentar bei. Warum der Verfasser des Kommentars und Ersteller der Transkription, Stefan Alker-Windbichler, in einer eigenartigen Hierarchisierung nicht als Mitherausgeber genannt wird, ist unverständlich. Wie auch immer – bitte jetzt eine Fritsch-Werkausgabe!

Gerhard Fritsch Man darf nicht leben, wie man will
Tagebücher.
Hg.: Klaus Kastberger,
Komm. v.: Stefan Alker-Windbichler.
Salzburg u.a.: Residenz, 2019.
264 S.; geb.
ISBN 978-3-7017-1405-7.

Rezension vom 17.09.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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