Daniel wächst in Wien zunächst in der Nähe des Naschmarkts und später in Hernals auf mit seinen Eltern, seinem älteren Bruder Ronni, seinen Kusinen und schließlich mit seinem besten Freund Ginger, mit dem er sich schon als Popstar sieht. Dass die gekonnte Handhabe einer Gitarre Mädchen zum Schmelzen bringt, hat er früh beobachtet und sich so seinem zweiten Ziel (Vögeln) schon näher gefühlt. Schnell allerdings muss er einsehen, dass sich seine Ziele nur Schrittweise erreichen lassen (siehe Liste S. 144f.) und hinter einigen Überraschungen verbergen.
Die geschilderten Ereignisse sind kurze Episoden, die, wie es den Anschein macht, nur der Reihe nach aus der Lade gezogen werden mussten. Die Schubladen, aus denen Norman Weichselbaum die Erinnerungen zückt, sind beschriftet mit Auszügen aus Songtexten. Eine Frage liegt nahe: War zuerst der Songtext oder doch die dazugehörige Erfahrung? Führte die Odyssee den Erzähler über das Popmeer, um bei einschneidenden Erlebnissen Halt zu machen oder schiffte er durch seine Erinnerungen um bei jeder Veränderung festzustellen: Sie ist nur eine Welle auf dem Meer der Popsongs? Wie auch immer – es lässt den Leser schmunzeln, wie treffend die gewählten Songzitate auf das darauffolgende Kapitel passen.
Und auch innerhalb des Erzählten wird alles verbunden mit einem Song, selbst als Babsi (Gingers Schwester) das von Dr. Sommer (BRAVO) so gut gehütete Geheimnis der Masturbation lüftet, wird der Hergang als Abfolge von Liedern geschildert: „Als die Cassette Sunrise von Uriah Heep zum besten gab, zog sie mein T-Shirt aus. Zu Tubular Bells nestelte sie an meiner Hose, bei Let It Be war ich nackt und mit McCartneys Refrainaussage ganz und gar nicht einverstanden. […] Greg Lake setzte zum Finale von Lucky Man an, und ich auch. Sternschnuppenfröstelnhaarespürenwieeinkrampfplötzlich- feuchtohgottnieaufhörenlassen. Und aus. […] schließlich schaltete ich den Cassettenrekorder ab und löschte die roten Lichter. Der Zauber war verflogen.“
Inhaltlich schleichen die Schilderungen aus der Jugendzeit so dahin, scheinen sich nicht sonderlich von denen anderer Jugendlicher dieser Zeit und vor allem dieser Stadt zu unterscheiden. Über diese Passagen hilft nur der sprachliche Witz. Weichselbaum schafft es, auch den dritten gescheiterten Annäherungsversuch an ein Mädchen so zu beschreiben, als wäre es ein Weltereignis, denn das war es auch für die Welt des jugendlichen Daniel. Erst zu Ende des zweiten Teils – das Buch ist dreigeteilt – findet sich der Ich-Erzähler in einer außergewöhnlichen Situation wieder: Sein bester Freund und Bandmitbegründer stirbt noch in der Nacht nach den ersten Studioaufnahmen an den Folgen eines Autounfalls. Ohne die Klangfarbe zu wechseln, meistert Weichselbaum diese Passage erzählerisch, indem er sich auf das beschränkt, was ein Jugendlicher von so einem tiefgreifenden Erlebnis preisgeben würde.
Weichselbaum lässt uns in dem Glauben, dass es diesen Daniel wirklich gegeben hat: Die Biografien am Schluss hinterlassen den Eindruck der realen Welt: Von sämtlichen „MAMY BLUE-Heroen“ wird „in der Reihenfolge ihres Auftretens“ der weitere Gang ihres Lebens geschildert. Auf der Website www.mamyblue.at sind Soundfiles von Aufnahmen, die MAMY BLUE im Keller des Konzerthauses gemacht oder bei Konzerten live mitgeschnitten hat, im MP3-Format herunterzuladen. Und schließlich sind dort auch Fotos zu finden von Daniel und den wichtigsten seiner Weggefährten.
Weil es zwischendurch einfach auch gut tut, einen ohne Reflexion des Schreibens und ohne Zweifel an der Möglichkeit zu erzählen geschriebenen Roman zu lesen, soll ihm nachgesehen werden, dass sämtliche Klischees (besonders Frauen und Ausländer betreffend) aufgetaut und neu verkocht wurden. Mit einer Ausnahme vielleicht: Die „Transdanubier“ (Ritchie, der Bassist, und Chris, der Drummer) sind doch nicht nur „Vertreter des Proletariats“. Political Correctness scheint schon wieder an Popularität zu verlieren, was das Leben und in unserem Falle das Lesen um Vieles einfacher macht.
Ich traue mich zu garantieren, dass sich nicht nur Georg Danzer – er hat das Vorwort geschrieben – in dem Buch des öfteren wiederfindet und bemerkt, dass es sehr viel mit ihm zu tun habe. Er glaubt zwar, er sei zu alt, um darüber froh oder traurig zu sein. Ich jedoch – noch ein Stück jünger als Georg Danzer – habe oft schmunzelnd auf meine eigenen einstmaligen Sehnsüchte, Niederlagen und kleinen Siege geblickt und befunden: Schön, dass wir älter werden, aber noch schöner, dass wir einmal jung waren.
Dieser Roman wird in der Literaturgeschichte keine wirklich neuen Wege beschreiten, aber sicherlich amüsante Stunden bringen.