#Roman

Malvita

Irene Diwiak

// Rezension von Angelo Algieri

Das Wort Toskana erzeugt bei vielen unbändige Sehnsucht. Hügelige Landschaften, Sonnen- und Mohnblumen, Weinberge, Serpentinenstraßen. Hier ein Örtchen, dort ein Bauernhof, drüben ein Anwesen. Dazu Sonne satt, vorzügliches Essen, wohlfeile Weine. Dolce Vita pur!

Doch von solch einer luftig-leichten Toskana erzählt uns die gebürtige Grazerin Irene Diwiak in ihrem Zweitlingswerk Malvita nicht. Der Roman ist in diesen Tagen im Wiener Zsolnay Verlag erschienen. Die Schriftstellerin, Jahrgang 1991, hat mit ihrem Debütroman „Liebwies“ 2017 für Furore gesorgt und wurde prompt und zu Recht im selben Jahr für den Debutpreis des Österreichischen Buchpreises nominiert. Diwiak schreibt zudem großartige Theaterstücke: „Die Isländerin“ wurde 2016 in Worms uraufgeführt.

Nun zu ihrem neuesten und mit Spannung erwarteten Roman, der in der Toskana der Gegenwart spielt. Protagonistin Christina, Twentysomething, wird von ihrer Mutter gebeten, als Fotografin in die Toskana zu reisen, um bei der Hochzeit ihrer bis dato nie kennengelernten Cousine Marietta Fotos zu schießen. Die ursprüngliche Fotografin sei spurlos verschwunden. Zudem gebe es ein Honorar. Christina willigt ein, auch weil sie Abwechslung braucht. Sie verarbeitet gerade das schmerzliche Ende ihrer letzten Beziehung. Der Klassiker: Ihr Freund David hat sich in ihre beste Freundin Miri verliebt. Christina steigt am Bahnhof von Malvita, einem fiktiven abgelegenen Ort in der Toskana, aus. Sie wird von Elena, ihrer anderen Cousine, mit einem Sportwagen abgeholt. Sie fahren zur Villa Esposito, benannt nach dem Namen ihrer „neuen“ Verwandtschaft, wo sie viele uniformtragende Angestellte arbeiten sieht. So langsam dämmert ihr, dass ihre Tante Adelheid nicht nur wohlhabend geheiratet hat, sondern superreich. Das Haus ist ziemlich groß und Christina wird treppauf, treppab zu ihrem Zimmer geführt, die Szene erinnert an slapstickhafte Charlie-Chaplin-Filme. Ihr wird Nino, ein für sie zuständiger Butler (und Aufpasser), zugewiesen. Beim Abendessen lernt sie sowohl die Braut Marietta kennen als auch ihren Vetter Jordie sowie Tante Ada und Onkel Tonio. Das Essen verläuft für Christina arg steif. Ihre „neuen“ Verwandten kommen ihr allmählich immer komischer vor. Etwa dass über die verschwundene Fotografin stets als Verräterin gesprochen wird. Am darauffolgenden Tag macht sie mit Jordie eine Spritztour: Sie fahren durch die wunderschöne Gegend. Als sie sich von einem Bach aus fotografischen Gründen angezogen fühlen, steigen sie aus, tollen herum, haben Spaß, es entsteht gar eine erotische Anziehung. Als Jordie jedoch ins Wasser steigt, um fotografiert zu werden, stößt er auf eine Leiche. Und zwar nicht irgendeine, sondern jene der verschwundenen Fotografin.

Christina fühlt sich durch dieses Ereignis wie erschlagen, doch in den darauffolgenden Tagen ereignen sich noch weitere Merkwürdigkeiten. Die Cousinen – im Gegensatz zu Jordie – scheinen wenig aufgebracht oder traurig zu sein, dass die Fotografin tot ist. Schließlich ist sie eine Freundin von Marietta gewesen. Beim Polterabend, der einem gewöhnlichen Fest gleicht und wenig an hierzulande übliche Junggesell*nnenabschiede erinnert, erfährt sie, dass die reiche Marietta in der Bank als Putzfrau arbeitet und so den Chef der Bank und Bräutigam Marcello kennen gelernt hat. Da die Hochzeit nur im engsten Kreis begangen wird, kommen zum „Polterabend“ Freunde und Bekannte – und vor allem Arbeitskolleg*innen. Christina beobachtet das Publikum, das unterschiedlicher nicht sein könnte. Marcellos arrogante und sexistische Arbeitskollegen und Freunde sind aus einer wohlhabenden Schicht, die sich u.a. in teurer Kleidung widerspiegelt. Während die unsichereren Arbeitskolleg*innen von Marietta weniger hochwertig ausgestattet sind. Als Christina angetrunken anfängt als Einzige zu tanzen, schreit Marietta panisch auf und die Party findet ihr jähes Ende. Dieser Ort mit dieser eigenartigen Familie – Christina will nur noch weg. Doch als sie sich dazu entschließt, stößt sie auf eine weitreichende Entdeckung, ähnlich wie Alice ins Wunderland hineingeraten ist – allerdings folgt Christina nicht einem Kaninchen, sondern Jordies dicker Katze Paola …

Irene Diwiak hat einen herrlich skurrilen Roman geschrieben. In gekonnt-ironischem Ton und mit überzeichneten Figuren macht sie die Abgründe der reichen Espositos überdeutlich. Natürlich stehen sie stellvertretend für die soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft – und das nicht nur südlich, sondern auch nördlich der Alpen. Doch das ist nicht das einzige Thema. Ohne zu spoilern – Diwiak spielt hier meisterlich mit dem Krimi- und Thriller-Genre –, geht es bei der Ermordung der Fotografin auch um Gender-Gleichheit bzw. -Ungleichheit. Macho- und Feministinnen-Kultur werden unversöhnlich gegenüber gestellt und in ihrer Radikalität ad absurdum geführt. Es geht viel um Deutungshoheit und darum, ob jeder Zweck die Mittel heiligt. Eine Figur bringt es auf den Punkt: „Wenn wir schon nicht das Richtige tun, dann doch zumindest das Gerechte.“ Gerechtigkeit um jeden Preis – auch wenn es für die vermeintlich gute Sache ist?

Kurz: Mit ironischem Stil, der von Beginn an in den Bann zieht, hat die in Wien lebende Schriftstellerin Diwiak eine gelungene, kurzweilige Gesellschaftssatire vorgelegt. – Ein umwerfend gutes Buch!

Irene Diwiak Malvita
Roman.
Wien: Zsolnay, 2020.
304 S.; geb.
ISBN 978-3-552-05977-1.

Rezension vom 28.09.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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