#Roman
#Debüt

Malika

Barbara Deißenberger

// Rezension von Andreas Tiefenbacher

Malika, die Protagonistin in Barbara Deißenbergers gleichnamigem Debütroman, ist weniger eine Königin oder ein Engel, so wie es der besonders in Nord-Afrika verbreitete Name suggeriert, sondern aufgrund ihrer „dünkleren Haut“, die sie ihrem arabisch-stämmigen Vater verdankt, eher eine Außenseiterin; gerade im Dorf, wo sie nach der Scheidung der Eltern mit ihrer Mutter lebt.

Den Sommer verbringt sie teilweise bei ihrem als Eisenbahntechniker arbeitenden Vater in der Kleinstadt. Weil der aber nicht seinen ganzen Urlaub der Tochter widmen will, ist Malika viel mit den Nachbarskindern zusammen. Dort wird die Siebenjährige schließlich von einem doppelt so alten Buben missbraucht. Und weil der behauptet, sie hätte sich ja „nicht mehr gewehrt, also mitgemacht“, verschweigt Malika den Vorfall, trägt aber fortan ihr Haar nur noch kurz und zieht statt Kleider lieber Hosen an.
Aber nicht bloß, dass sie wie ein Bub herumrennt, sie beginnt auch Lügen zu erzählen, macht ihre Puppen kaputt und quält die Katze. Schnell heißt es deshalb, sie habe nicht alle Tassen im Schrank. Wen wundert’s, wo sie sich lieber die „Elfen und Kobolde, Zwerge und Hexen aus den Märchenbüchern“ zu Gefährten macht, als sich nach Spielkamerad/inn/en umzuschauen.
Und wie sie dann von der Religionslehrerin auch noch erfährt, dass jedem Menschen ein Engel beigestellt ist, beginnt sich in ihr überhaupt die Sehnsucht nach einem Schutzengel zu regen. Sie hofft, dass der ihr („wenn sie nur innig genug betet“) ein Zeichen gibt.
Und tatsächlich. Auf einmal ist da die vier Jahre ältere Margarethe, die wohlbehütet aufwächst, reiten kann und Haustiere hat. Ihr ist das „Negermädchen“ Malika ziemlich sympathisch. Umgekehrt wird Margarethe wegen ihrer langen, goldenen Haare von der neuen Freundin als „strahlend schön“ empfunden und zum Engel stilisiert. Die beiden Mädchen sind „unzertrennlich“, was sich erst nach der Matura ändert, als es zum Studium in die Hauptstadt geht. Schuld sind die Männer. Doch zum großen Glück in der Liebe führen sie die beiden nicht. Malika lässt lange keinen „ernsthaft“ an sich heran, ja gibt längstens nach einem Dreivierteljahr jedem „den Laufpass“, bis sie schließlich den erfolgreichen Musiker und Kardiologen Ismael Rosenberg kennenlernt. Doch der schafft es nicht, ihr treu zu sein, zwischen ihnen bildet sich „eine unüberwindliche Eisfläche“.

Bei Margarethe hat das Ausbleiben einer Familiengründung andere Ursachen. Zuerst zögert sie, und dann kommt der Brustkrebs dazwischen. Dementsprechend ist sie, als ihr Malika (in der aktuellen Erzählrealität des Romans) im Park über den Weg läuft, „eine magere Gestalt mit kurzen Haaren“, die am Stadtrand wohnt und seit ihrer Ausbildung zur tierärztlichen Assistentin auf einer Art „Pferdebauernhof“ arbeitet. Die jüngere Freundin hat immerhin das Studium der Geschichte mit Auszeichnung absolviert, ihr fehlt allerdings jegliches Karrierebewusstsein. So bringt sie es neben ihrer Tätigkeit in der Universitätsbibliothek nur auf „seltene Beiträge in Fachzeitschriften und gelegentliche Workshops in Volkshochschulen“.
Die beiden Frauen werden bei ihrer zufälligen Wiederbegegnung vor einer Parkbank von einem voyeuristisch veranlagten Schriftsteller beobachtet. Er heißt Friedrich Weidlinger und ist ein auf Frauenbrüste fixierter „Platoniker“, der sich nach und nach in Margarethe verliebt, obwohl die im Grunde „keine Frau mehr sein (kann), für niemanden“. Doch der gegen eine Schreibblockade ankämpfende Schriftsteller ist überzeugt davon, dass sie neue Schaffenskraft und Hoffnung in ihm wecken wird und daher regelrecht „süchtig nach einem Wiedersehen mit ihr“. Nichts will er mehr, als mit Margarethe „zusammen zu sein“.

Die Dreierkonstellation Malika-Margarethe-Friedrich trägt den Roman, der mit viel Empathie und großem sprachlichem Engagement erzählt wird. Im Fall der beiden weiblichen Hauptpersonen gibt es gelegentliche Rückblenden in die Kindheit. Berichtet wird aus wechselnder Perspektive. Die Ich-Erzählungen des Schriftstellers sind oft nur durch eine Leerzeile vom übrigen Text getrennt, in dem sich auch kursiv gesetzte Passagen eines Romans im Roman befinden. Alle Elemente sind kunstvoll ineinander verwoben. Am Ende offenbaren sie eine Malika, die, weil sie „zu viel in die falsche Richtung gelaufen ist“, zwar „keinen Halt (mehr) in sich selbst“ findet, ihre Sehnsucht nach Zweisamkeit aber dennoch nicht verkümmern lässt. Auch wenn sie sich, nachdem „die Welt zu einer von Männern für Männer konstruierten Mausefalle“ zu verkommen scheint, zeitweise wie „eine Hardcore-Feministin“ gebärdet.

In so etwas wie eine „Mausefalle“ tappt auch Schriftsteller Friedrich. Sie heißt Tsira Abudschidze und ist alleine ihrer „aufreizenden Körperlichkeit“ wegen die „geborene Manipulantin“. Mit ihr wird es noch einmal richtig spannend, als Friedrich in Montreal, wo er an einem Projekt beteiligt ist, in eine „Post-Amnesie-Neurose“ schlittert.
Aber schriftstellernde Menschen sind meistens feinfühlig. Das kommt auch Friedrich zugute, hat er doch immer gespürt, dass er eine Probe bestehen muss, um sich Margarethe quasi „zu verdienen“. Dass ihm das gelingt, scheint wahrscheinlich.
Ähnliches darf auch von seiner Urheberin Barbara Deißenberger behauptet werden, der es auf charmante Weise gelingt, dem Schriftsteller Friedrich ihren Text als „nun gar nicht so kurz geratene Kurzgeschichte“ unterzujubeln, geht es doch darin gleichfalls „um zwei Frauen und einen Mann. Um Menschen und was sie sich gegenseitig geben und nehmen können. Und Sex ist nur eins davon.“
Ja! Einer von vielen Aspekten, mit denen sich dieser u. a. auf Schopenhauers „Metaphysik der Geschlechtsliebe“ eingehende Roman in recht beeindruckender Weise beschäftigt.

Barbara Deißenberger Malika
Roman.
Wien: Hollitzer Verlag, 2017.
360 S.; geb.
ISBN 978-3-99012-426-0.

Rezension vom 21.12.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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