#Prosa

Majakowskiring

Marlene Streeruwitz

// Rezension von Anne M. Zauner

Majakowskiring sei eine „Fingerübung“, meint Marlene Streeruwitz. Sie scheint sich mit ihrer kleinen Erzählung kaum aufzuhalten. Denn die Autorin ist präsent wie nie.

Im Herbst 1999 erschien ihr bisher umfangreichster Roman Nachwelt, der das Schicksal der fiktiven Margarethe Doblinger mit dem von Anna Mahler, Bildhauerin und unberühmte Tochter berühmter Eltern in ein Mosaik aus Erinnerungssplittern, privaten Gefühlsverstrickungen und dem Leben im Exil verwebt. Streeruwitz‘ neuer Roman ist in Druck, ein „Schauerroman“ mit dem irreführend idyllischen Titel Dauerkleingartenverein „Frohsinn“, in dem die 80jährige Norma Desmond mit einem Toten an der Seite gegen einen utopischen Überwachungsstaat ankämpft.

Für den „steirischen herbst“ schreibt Marlene Streeruwitz – ihre schriftstellerische Karriere begann sie als Dramatikerin – seit langem wieder ein Theaterstück. Es befasst sich mit der aktuellen politischen Situation Österreichs, ausgehend von einem „Meilenstein“ erlittener Kränkungen durch das Ausland: Karl Schranz‘ Ausschluss von der Teilnahme an der Winterolympiade 1972 in Sapporo.

„Reagieren geradezu zur Schreibhygiene geworden“, nennt Marlene Streeruwitz ihre Artikel, Essays und Reden zum Kultur(un)verständnis und anderen „Irrungen, Wirrungen“ der blau/schwarzen Regierung.

Majakowskiring, die Fingerübung, nimmt sich dagegen klein und unspektakulär aus. Die kurze Erzählung kommt auf leisen Sohlen. Ihr Thema ist uralt und Marlene Streeruwitz vertraut: die Trauer einer Frau um eine verlorene Liebe.

Es gibt keine Überraschungen, ohne Schleife und Schnörkel entrollt sich eine moderne Beziehungs- und Trennungsgeschichte in den monologischen Erinnerungsbildern einer nicht mehr jungen Frau; frühere Abschiede werfen lange Schatten auf diesen letzten und endgültigen.

Die kunstvolle Kunstlosigkeit der Erzählung zieht den Leser schnell in Bann. Streeruwitz nennt ihre Protagonistin Lore. In ihrer unstillbaren und ungestillten Sehnsucht nach Liebe könnte sie auch Julia heißen. Man sitzt ihr zur Seite am Majakowskiring, im ehemaligen Gästehaus des DDR-Schriftstellerverbands, erstarrt wie sie, rührt an ihre Erinnerungen, sucht im geschmacklosen DDR-Prunk der fetten orangebraunbeige gestreiften Polstersessel und der unförmigen Schrankwand nach den Spuren dunkler Zeiten.

Streeruwitz schreibt in Majakowskiring die ihren Frauenfiguren eigene Syntax weiter; halbfertige Sätze, Ein- und Zweiwort-Ketten reihen sich aneinander, stürzen ineinander, formen sich zum erstickten Schrei. Die Verben drängen ans Satzende, als könnten sie der Lähmung und Gefühlsstarre der verletzten Frau im letzten Augenblick noch entwischen.
Lore ist beruflich erfolgreich, finanziell abgesichert, unabhängig und gebildet – die ideale Geliebte für Paul.

Paul ist ein perfekt komponiertes Klischee. Er hat sich der ehelichen Monotonie und Monogamie durch Scheidung entzogen, lässt seine Exfrau Traude jedoch aus Mitleid und Bequemlichkeit weiter für sich sorgen. Sie ist nach wie vor sein Zuhause, sein Trost. Auch die gemeinsame Tochter behauptet ihren Platz. Lore ahnt schon früh, dass dieser attraktive, ungebundene Mann in den besten Jahren keine neue Frau, keine Gefährtin, sondern eine bequeme Geliebte sucht.

„Es war sehr angenehm, zu leben wie eine ewig Siebzehnjährige.“ Selten traf ein Ausspruch weniger ins Schwarze. Lore verzehrt sich vor Liebessehnsucht und verstrickt sich in Talmi, verbrennt sich die Finger. Wieder einmal. Sie beginnt zu warten, ist eifersüchtig auf Paul und sein Zuhause in München, leidet an der eigenen Einsamkeit in Wien. Anfangs gewinnt sie noch einige Scharmützel, droht mit dem Ende der Beziehung und lässt sich vom eilends angereisten Paul in die Arme nehmen, lässt sich von ihm lieben. Das letzte Scharmützel verliert sie. Als sie wieder einmal das Ende beschwört, geht er, unmissverständlich und endgültig.

Und auch Marlene Streeruwitz verabschiedet Lore mit einer grausam bitteren Erkenntnis aus ihrer Geschichte:

„Ordnung und die herzzerreißende Erbärmlichkeit eines rechtschaffenen Lebens“.

Majakowskiring.
Erzählung.
Frankfurt am Main: S. Fischer, 2000.
111 Seiten, broschiert.
ISBN 3-596-22396-2.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 30.05.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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