#Prosa

Magische Blätter V

Friederike Mayröcker

// Rezension von Klaus Kastberger

Magische Blätter nennt Friederike Mayröcker die Sammelbände mit Kurzprosa, die seit mehreren Jahren in der Edition Suhrkamp erscheinen. Im neuen Band mit der Ordnungsnummer 5 wird jetzt ein Schwerpunkt mit Textarbeiten zur Bildenden Kunst gesetzt.

Mayröcker hat sich von Bildern von Giotto, Van Gogh, Francis Bacon, Tápies, Picasso und von Fotos von Manfred Gruber oder Simone Kappeler inspirieren lassen. Maria Lassnig ist ein kurzer Text gewidmet, in dem es unter anderem heißt: „habe immer dieses Bild vor mir, wie du als wunderbare Kröte mit baltischen Backenknochen unter dem Tisch hocktest.“ Die Bilder der anderen (darunter viele Freunde und Bekannte der Autorin) „durchzittern“ die literarischen Texte. Mayröcker stellt eine Identifikaton nicht nur mit den Gegenständen, sondern auch mit den Begriffen des Kunstbetriebes her, die ja gerade das Gegenteil, nämlich Distanzierung bewirken sollen. So wird beispielsweise der „konkrete“ Poet Eugen Gomringer mit den Worten angesprochen: „wie bist du konkret wie konkret bist du.“ Das Wort ‚konkret‘ ist plötzlich keine Etikettierung von Kunst mehr, sondern eine Etikettierung des Künstlers, so tragen die Menschen bei Mayröcker in ihrem Leben und auf ihren Körper die Begriffe des Betriebes herum.

Was für die Autorin selbst gilt, daß nämlich das Schreiben zum Leben geworden ist und sich zwischen Leben und Schreiben nicht mehr sinnvoll trennen läßt, gilt auch für alle Figuren der Magischen Blättern. Wahre Identitäten werden aufgelöst und in die emotionalen Kunstwelten integriert. Ob es sich dabei um die Literaturwissenschafterin Monika Pauler aus Hamburg handelt, der ein „Luftmaschen Brief“ geschrieben wird, oder um die Wiener Künstlerin Linde Waber, der nicht zum ersten Mal eine Textwelt gewidmet ist – am Ende nehmen bei Mayröcker alle Figuren und alle Bilder die ihnen gemäße Stellung ein: eine Textverwandtschaft, die etwas nahezu Großfamiliäres an sich hat und die im Kopf auch noch für die größten Einzelgänger Platz läßt. „Thomas Bernhard in meinem Kopf“ heißt demgemäß ein Text, in dem unter anderem davon die Rede ist, daß die Autorin einmal mit dem Ohlsdorfer an einem Tisch saß und sich ihr dieser mit dem Satz zugewandt hat: „Wir sind beide in Österreich schwarze Schafe“. Woran er denn arbeite, wollte wenig später jemand von ihm wissen, worauf er die Anwort bekam: an einem Stück namens „Der Pracker“.

Neben einigen wenigen umfangreicheren Arbeiten wie dem Hörspiel „‚Dein Wort ist meines Fußes Leuchte‘ oder: ‚Lied der Trennung'“ und einem Begleittext zu Bodo Hells Film „Am Stein“, zeichnen sich die Texte der Magischen Blätter V in vielen Fällen durch eine fast pointenhafte Kürze aus, ganz so als hätte die Autorin nicht mehr genug Zeit, jeder einzelnen an sie herangetragenen Schreibaufforderung und allen Bitten um Textbeteiligung nachzugehen, weil eben im Hintergrund stets das eigentliche und gewichtige Schreibprojekt wartet, deren genuiner Teil nun aber jede einzelne Textpflicht ist, so wie das in eindrucksvoller Weise die wenigen Zeilen bewiesen, die Mayröcker sehr schlicht als „dieses Jahrhundert“ bezeichnet hat: „im 24. Winter dieses Jahrhunderts hat es mich plötzlich gegeben : (1 Sturz in die Zeit), dann als WANDERPOET durch die Jahre Jahrzehnte; fast ein Rekord ist zu lesen in seinem Auge, wenn ich es anblicke wenn ich zurückblicke auf dieses Jahrhundert“.

Friederike Mayröcker Magische Blätter V
Prosaband.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999.
102 S.; brosch.
ISBN 3-518-12138-3.

Rezension vom 07.12.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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