#Roman

Madalyn

Michael Köhlmeier

// Rezension von Christine Schranz

Madalyn ist nicht, wie der Klappentext vermuten lässt, „nur“ eine Liebesgeschichte. Madalyn ist eine universelle Geschichte über die Unmöglichkeit.

Sebastian Lukasser, Romanautor und Ich-Erzähler, will eigentlich nur eins: seinen aktuellen Roman vollenden. Doch mit dem Fahrradunfall des Nachbarmädchens tritt ein neuer Mensch ins Leben des einzelgängerischen Schriftstellers, der ihn zum Helden wider Willen macht. „Nur bitte nicht etwas beichten“, fleht der Ich-Erzähler, „damit will ich nichts zu tun haben; weil ich inzwischen (nach der realen Begegnung mit der realen Hauptfigur meines in Arbeit befindlichen Romans) mit fast gar nichts etwas zu tun haben wollte, was sich außerhalb meines Kopfes abspielte.“

Doch Madalyn erzählt. Sie erzählt von Moritz, der neu an ihrer Schule sei und etwas älter. Sie erzählt, dass sie sich verliebt habe. Und dass Moritz sie zum Nachdenken bringe über Wahrheit und Liebe, Treue, Gerechtigkeit und Freiheit: „nie wieder in ihrem Leben, dachte sie, würde sie jemanden wie Moritz kennenlernen. Er lebte in diesen großen Dingen, wenigstens in einigen davon.“
Sebastian und Madalyn, der abgeklärte Realist und die junge Idealistin, bilden mit ihren Persönlichkeiten die Gegenpole des Romans. Ihre Weltanschauungen könnten unterschiedlicher nicht sein – Sebastian immer auf Abstand bedacht, Madalyn auf Nähe –, doch versuchen beide das gleiche: so gut zu sein, wie es das eigene Weltbild eben noch zulässt.

Moritz hat einen Zigarettenautomaten aufgebrochen; er ist ein berechnender Lügner – oder doch nur misstrauisch? –, weil alle denken, „dass ich immer etwas Unrechtes tue, weil ich einmal etwas Unrechtes getan habe.“ Wenn Madalyn etwas mit Sicherheit weiß, dann ist es, dass einer, der von einem baufälligen Haus denkt, es sei so wie er, nur einen anderen braucht, der an ihn glaubt. Sie möchte dieser andere sein. „Ich muss ihn“, und bei diesem Gedanken stellen sich alle Härchen auf ihren Armen auf, „so ausdauernd in meinen Armen warm halten, bis alles gut wird. […] Und wenn es ein Leben lang dauert?“
Madalyn glaubt an sich und an Moritz und daran, dass sie nur so lange auf ihn zugehen muss, bis da kein Abstand mehr ist. Jedes Wort wird zum Versprechen, und seine Gegenwart legt einen Zauber über Wiens alte Häuser und Flussufer, Pizzastände und Prateralleen. Nichts bleibt unmöglich, denn in der Liebe kann man die Welt neu erfinden.

Sebastian Lukasser hingegen ist ein nüchterner Mensch. Seine Freundin Evelyn und sich sieht er als „einander […] zuverlässiges emotionales Notprogramm“ – zwei Menschen mit Schlüsseln zur Wohnung des anderen, eine funktionierende „Verkehrsregelung“. Sebastians Glück wird nicht vom Glück eines anderen bestimmt: Er ist zufrieden, wenn es „[s]einem Helden [gelingt], sich von seinem realen Vorbild zu emanzipieren“. Niemand legt Zauber über alle Dinge seiner Welt, dafür ist sie beständig. Und doch ist er leise fasziniert von Madalyns Leben und bemüht, darin nicht nur der periphere Held zu bleiben, sondern ihr Weltbild zu erhalten. Doch daran, muss der Held erkennen, scheitert er, weil man an einer solchen Aufgabe nur scheitern kann. Es ist zu spät, das Gesehene ungesehen und das Gesagte ungesagt zu machen: „Ich hätte mich gern aus diesem Film herausgewunden, nicht nur aus dieser Szene, gleich aus dem ganzen Film. […] Ich kannte mich. So herzlos, wie ich mich fühlte, war ich nicht.“

„Madalyn“ ist ein Roman über die Unmöglichkeit: über die Unmöglichkeit einer Wahrheit ohne Fiktion und die Unmöglichkeit, ein Held zu sein, über die Grenzen des eigenen guten Willens und über das Ende von Begegnungen und Geschichten. Wer Köhlmeiers Erzählstil zu schätzen weiß, wird auch Madalyn mögen – und sich diesmal vielleicht leichter als üblich in einem seiner Charaktere „von nebenan“ wiederfinden können.

Michael Köhlmeier Madalyn
Roman.
München: Hanser, 2010.
176 S.; geb.
ISBN 978-3-446-23597-7.

Rezension vom 12.08.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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