#Theater

MACHT NICHTS

Elfriede Jelinek

// Rezension von Klaus Kastberger

Eine kleine Trilogie des Todes.

In Elfriede Jelineks Buch „Die Kinder der Toten“ (1995) ging nahe dem steirischen Niederalpl eine gigantische Mure ab; alle Feriengäste der Pension Alpenrose wurden darunter begraben. Der Boden der Heimat war hinlänglich präpariert worden: Anhaltender Regen- und aufsteigendes Sickerwasser hatte ihn durchgeweicht, sodaß die schmale Erddecke leicht zur Seite geschoben werden konnte. Damit lag der Blick auch auf die historischen Eingeweide des Landes frei, auf einen stinkenden Totenbrei aus verwesendem Fleisch, Haar- und Knorpelresten, in dem nur mehr wenige Individuen zu erkennen waren, und auch diese tauchten schließlich vollständig in die amorphe Masse ein.

Mit einer stark reduzierten Variante dieser Todesmaische bekommen wir es nunmehr in Macht. Nichts zu tun. „Eine Kleine Trilogie des Todes“ hat die Autorin den schmalen Band im Untertitel genannt. Das Kleid, das Jelinek in „Die Kinder der Toten“ mit voller Absicht um so vieles zu groß geraten war, ist nun zu einer beinahe schon skurrilen Schwundform eingelaufen, ganz so, als hätte jemand einen Wollpullover bei hundert Grad mutwillig auf Puppengröße eingekocht. Wie Jelinek im Nachwort des neuen Bandes schreibt, seien die drei kurzen Einzeltexte für das Theater, aber nicht für eine Theateraufführung gedacht; einer solchen bedürfe es gar nicht, „führten“ sich doch die Personen schon selber zur Genüge „auf“. Die Titel der Textstücke sind Schubert-Liedern entnommen: „Der Tod und das Mädchen“ und „Der Wanderer“; nur der Goethesche Erlkönig wurde zu einer „Erlkönigin“ umgeformt.

Der letztgenannte Text eröffnet den Band und stellt gleichzeitig eine nachträglich angefügte Coda zu Jelineks Stück „Burgtheater“ dar. Eine Schauspielerin, die namentlich nicht genannt wird, aber doch eindeutig gemeint ist, wird nach ihrem Tod nach alter Sitte um das Haus am Ring getragen: „Die Knochen stehen ihr überall heraus. Ab und zu schneidet sie sich ein Stück Fleisch heraus und wirft es ins Publikum.“ Während der Nazizeit hatte die Akteurin völkischen Geist auf die Bühne gebracht und dabei etwas von der wirklichen Macht geschnuppert. Bei Jelinek verschafft sie sich aus der offenen Kiste heraus ein letztes Mal Luft. Das Spiel ist für diese alte Dame mit dem Tod durchaus nicht zu Ende, die Prozession um die Burg hält eine letzte Traumrolle für die anmaßende Tote bereit, die nicht aufhören kann zu sprechen, von der aber auch die Verehrerschaft nicht abläßt, sodaß zum Schluß der Totenmonolog in ein verzweifeltes Veto kippt: Drei bis viermal genüge nun doch wirklich, man könne doch nicht auf ewig und immer wieder „um die Ecke gebracht“ werden; auch wenn es sich hierbei um die Ecke des Burgtheaters handelte, einmal müsse nun wirklich Schluß sein.

Daß mit dem Tod, auch wenn es die Widergänger wünschen mögen, durchaus nicht alles zu Ende ist, beweist auch der mittlere Abschnitt von Jelineks kleiner Trilogie: „Der Tod und das Mädchen“ ist eine Parabel auf Schönheit und Wahrheit; Schneewittchen höchstselbst wird hier mit einem wild-entschlossenen Jäger zu einem Dialog zusammengespannt, in dem es Worte und Taten nicht an Kürze und Prägnanz fehlen lassen. Mit dem finalen Fangschuß fackelt der Schütze nicht lange, die Frau war ihm ein leichtes Opfer geworden, verloren irrte sie zwischen dem ersten und siebten Berg herum, ohne eine hinreichende Vorstellung von einer „Errettung durch Zwerge“ zu entwickeln. Gegen Ende tauchen die kleinen Lustburschen dann aber doch noch auf, kommentieren das Ereignis kurz, packen die Frau in ihren gläsernen Sarg und tragen sie stumm fort.

Von einem gar nicht märchenhaften, sondern sehr realen Opfer ist im letzten Teil unter dem Titel „Der Wanderer“ die Rede. So wie im Schlußmonolog des „Sportstückes“ tritt auch hier der wahnsinnig vor sich hinsprechende Vater der Autorin auf. Diese Person wird vom Text wie ein medizinisches Präparat vorgeführt, ein Opfer-Präparat, das plötzlich „wichtig gemacht wird“, genauso wie die Opfer auf allen Denkmälern der Welt, eben weil sie zum Denkmal wurden, exemplarische Bedeutung erhielten. Diese höchst reflektierte Form des Erinnerns, die den wahnsinnigen Vater gar nicht so sehr zum Leser, sondern vor allem zur Autoren-Tochter sprechen läßt, verhilft der Rede des Opfers zu einer Autonomie, wie sie von der Theorie historischen Erinnerns in letzter Zeit wieder verstärkt gefordert wird.

Die Debatte dazu war vor zwei Jahren auf dem Feld der Literatur eröffnet worden: Da hatte der Schweizer Autor Bruno Doessekker sich unter dem Pseudonym Binjamin Wilkomirski eine maßgeschneiderte, aber frei erfundene nationalsozialistische Opferrolle auf den Leib geschrieben. Die Leidensgeschichte der anderen wurde zu einer Lügengeschichte umfunktioniert, der literarische Erfolg des falschen Opfers ließ über den wirklichen Opfern und ihren ungeschriebenen Geschichten dunkle Schatten der Mißachtung und des Mißtrauens aufziehen. Die Textsammlung Macht. Nichts macht mit Ausnahme dieses letzten und wichtigsten Punktes mit ihrem Titel überall Ernst: Es macht wirklich nichts, was mit den Verursachern, Chronisten und Profiteuren der Verbrechen passiert. Was zählt, ist einzig und allein die Geschichte der Opfer.

Elfriede Jelinek Macht. Nichts
Textsammlung.
Reinbek: Rowohlt, 1999.
90 S.; geb.
ISBN 3-499-22683-9.

Rezension vom 02.02.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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