#Roman

Luzidin oder Die Stille

Lukas Meschik

// Rezension von Martina Wunderer

Worum geht’s?
Wie schon in seinem
ersten Roman mit dem wunderbaren Titel Und jetzt die Sirenen betreibt Lukas Meschik auch in Luzidin oder Die Stille die „radikale Aufhebung sämtlicher Wertigkeiten“ und erzählt „vom Verschwinden und dem Versuch, doch etwas Bleibendes zu hinterlassen“.

Worum geht es wirklich?
Um die tröstende, lebenssp
endende und -rettende Kraft von Literatur.

Wir befinden uns an einem ortlosen Ort in einer zeitlosen Zeit. Das ursprungslose Monstrum Universum bildet den Rahmen für unsere Geschichte.“ Warum also kleckern, denkt sich der erst vierundzwanzigjährige Wiener Autor und schafft mit Luzidin oder Die Stille seinerseits ein ausuferndes literarisches Monstrum. „Ein siebenköpfiges Schreibungeheuer“ die Gruppe der Sieben Gefahren treibt im Roman sein Unwesen. Die Mitglieder verkörpern die sieben Laster der Gegenwart: Elisa Slavik Einsamkeit. Kilian Matt – Schuld. Nils Clanga – Verwahrlosung. Lucius Bohm – Pflicht. Martha Habemus – Ankommen. Humorist M. – Verzicht. Silen – Amputation. Sie verfolgen gemeinsam ein utopisches Schreibprojekt, „philosophischer als Dichtung, dichter als Philosophie. Nichts beschönigende, alles entstellende Sprachwucherung, aggressive Geschwulst“, „ein Überbuch aufrechterhaltend, das die allgemeingültige Gegenwart abbildet“, um diese von innen heraus zu zersetzen.

Was für ein Einfall, eine quasi-terroristische Organisation der Schreibenden zu berufen, die dem „Zeitalter des Homo communicans“ den Kampf ansagt. Sie will nicht länger zusehen, wie auch „der heilige Akt Schreiben mit Füßen getreten und in nutzdienliche Schaffensgeilheit verwandelt wird“. Ihre Erzählungen und Traktate sollen nicht „Schmiermittel für reibungslosen Austausch von Waren, Personen und Ideen sein“, sondern Zucker im Tank, subversive Kraft. Leider bleibt die Umsetzung dieser Idee manchmal hinter ihren Möglichkeiten. Kilian Matts Buch Liebesversäumnis wird sogar vom Erzähler verrissen. Und auch Silens Drehbuch zu Hodenstadel, Elisa Slaviks Gebäudelosigkeit oder Ladislaus Kampfs Die Meister des Trostes bzw. Die Feindeswissenschaft haben zwar den Anspruch, ein radikales „Bollwerk gegen den Stumpfsinn“ zu sein, sind streckenweise aber nur arg geschwätzig. Dabei war die Gruppe doch angetreten, die „Wortblase des Homo communicans“ zu zerstören. Oder ist genau das ihre Strategie – die Blase so lange weiter aufzublähen, bis sie platzt?

Unter dem Einfluss von Luzidin, einem Klartraummedikament, das entwickelt wurde, um „Weltflucht in vorsichtiger Dosis“ zu ermöglichen, hauen die Sieben Gefahren ohne Unterlass in die Tasten. Sie wirbeln Orte, Figuren, Zeitebenen und Perspektiven wild durcheinander, ohne sich einen Deut um eine narrative Ordnung der Dinge zu scheren. Mit fröhlicher Anarchie wuchert der vielwurzelige Text vor sich hin, der Einbildungskraft sind keine Grenzen gesetzt, und manche der Einfälle sind herrlich skurril: Ein Geisterbus fährt nachts durch die Straßen von Wien; das Geld sucht sich einen Biographen; Haustier Anton, ein „fünffüßiger Jambus“, macht sich über ein „schmackhaftes Prosabändchen“ her; „aus dem Hinterhalt winkt der magische Ulk“. Wien selbst, „weinschwer und träge“, trifft im Boxring auf Berlin, „weitläufig und zählflüssig“, und trägt „selbstverständlich“ den Sieg davon. Sein nächster Gegner? Gott, ein inkontinenter, krebszerfressener, „alter geiler Zwitter“, der in der Freizeit schlechte Autoren vernichtet.

Überhaupt richtet sich der Unmut der Erzähler mit besonderer Wucht gegen den Literaturbetrieb und seine Angestellten: „Mein Bauchweh beim Gedanken an diese Kreise ist gepaart mit ständigem Brechreiz. Man entblödet sich dort, vier Jahre Schriftstellerei zu spielen, anstatt das Schreiben zu leben.“ „Das Wiener Wettlesen ein lächerlicher, für die Lächerlichsten unter ihnen ein von Erfolg gekrönter Vorgang. […] Sie erklimmen die Bestsellerlisten, erreichen ihren Zenit, erschreiben sich gleichbleibend hohe Auflagen, die ohne Erschütterung fürs Weltgedächtnis sind, nein, ich erspare dir nicht diese Polemik, es sind die Ansichten eines Gekränkten, sie ersuchen dich, ihr Körnchen Wahrheit herauszupicken, das wirst du doch schaffen.“ Ja, ich schaff das schon, will man dem Kläffer da zurufen, doch leiden deine im Text verstreuten grantelnden Suaden oft etwas zu sehr unter eitlem „Gekränktsein“ als „Movens“ (um es mit deinen Worten zu sagen), und Wahrheit ertrinkt in Befindlichkeit.

Nach 549 Seiten ist es schließlich so weit: „Es hagelt Sätze und Phrasen und schiefe Metaphern. Es prasselt auf die Menschen herab. […] Die Buchstaben versickern in der Stadt und machen Wien zu einem fruchtbaren Boden. Das Erzählbare ist überall. Es wartet auf Schatzsucher, die mit Bleistiften ihre Nuggets aus dem Untergrund hebeln.“ Meschik ist ein solcher Schatzsucher, ein phantasiebegabter, sprachmächtiger und furchtloser, der jedoch seine eigenen hohen Ansprüche nicht immer einlöst. Manche seiner Sätze funkeln, man möchte sie auswendig lernen und behutsam vor sich her tragen. Doch um sie in dieser „Ursuppe“ aus Worten, die streckenweise ohne Punkt und Komma auf ihn einprasselt, zu finden, muss der Leser Meschiks Gold erst waschen. Sonst drohen sie unterzugehen in der überbordenden Sprach- und Bilderflut.

Lukas Meschik Luzidin oder Die Stille
Roman.
Salzburg: Jung und Jung, 2012.
600 S.; geb.
ISBN 978-3-902497-99-4.

Rezension vom 11.07.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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