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Lunarische Logbücher

Birgit Schwaner

// Rezension von Sigrid Meßner

In kautschukverklebten Plastikurnen, ägyptischen Bierflaschen, Römerquellepfandflaschen Hustensaft- oder Orangenlikörfläschchen treiben „Flaschenposten“ übers Meer, dümpeln in Brunnen, werden aus der Seine gefischt oder kommen beim Ausweiden von Fischen zum Vorschein. Sie sind allesamt „Reste der ursprünglichen Sehnsucht“, „Briefe ins Blaue geschnattert“. Skurril und vielgestaltig ist das Strandgut, das Birgit Schwaner in ihrem im Klagenfurter Ritterverlag erschienenen Debüt Lunarische Logbücher sammelt.

Die Flaschenpost, vielleicht das erste Spam-Mail der Computervorzeit, die altertümlichste Form der transatlantischen Kommunikation, als letzter Hilferuf eines Schiffbrüchigen oder zur Strömungsforschung eingesetzt, hat ungewisse Adressaten. Das ist natürlich auch ein passendes Bild für Literatur. Der Autor wendet sich an eine unbekannte Leserschaft, schreibt ins Blaue hinein, in die allgemeine Bücherflut und weiß nicht, ob und wo seine Worte ankommen. Bücher haben bekanntlich ihre Schicksale, die von unvorhersehbaren Winden gelenkt werden.

Versiegelte Träume, Hilferufe ins Nichts, Reiseberichte, Tagebücher, Selbstgespräche sind der Inhalt von Schwaners „Flaschenposten“. Allesamt wurden sie von Frauen aufgegeben, „Seefahrerinnen im weitesten Sinn“. In „Hai ahoi“ reist eine Frau allein auf einem finnischen Schiff nach Shanghai, und hat rätselhafte Haiträume. Schließlich folgt ein echter Hai dem Schiff. Auch eine finnische Sängerin beobachtet ihn intensiv. In der darauf folgenden Nacht wird sie sich umbringen und am nächsten Morgen ist der Hai verschwunden. Bedrohliche Todesphantasien und eine ausweglose Lage dominieren auch „Im Fischbauch: Lexikon/Nachricht aus Flebbe“, eine Flaschenpost, die offensichtlich von einer Verschluckten hinterlassen wurde. In „Il mare diretto (Römische Splitter) berichtet eine Reisende, was sie in Rom sah und hörte, ehe ihr Reisebericht in eine Flasche gestopft in einem römischen Brunnen landet. Diese und die weiteren „Flaschenposten“ sind adressiert an das Nichts, den zufälligen Leser oder auch nur an die Fische.

Fantastisch sind auch die Fundgeschichten der Flaschen. Ornithologen, Filmteams, Schwimmer, Matrosen, Müllmänner greifen sie in der Kanalisation, am Kai oder in der Wüste auf. Die Materialien der Flaschen und ihr Inhalt, sowie eventuelle Beschädigungen des Papiers durch Rotweinflecken und Risse sind vermerkt. Jeder Erzählung sind diese Daten als eine Art Katalogzettel vorangestellt. Die 1960 im deutschen Frankenberg geborene Autorin, die ein Germanistik-Studium in Wien angespült hat, wo sie seit 1984 lebt, hat ihrer Textsammlung einen ungewöhnlichen Rahmen gegeben. Sie stellt ihrem Band ein fingiertes Vorwort der Herausgeberin voran. Die gesammelten Texte werden als Fundstücke einer geheimen Flaschenpostbibliothek postuliert. Eine Zweigstelle dieser ominösen Bibliothek befindet sich in Kairo, eine in Wien, die Hauptstelle auf einer namenlosen Insel irgendwo im Pazifik. Eine hübsche Idee, die die literarische Fiktion verstärkt. Die Autorin ist selbst nur eine Sammlerin von etwas höchst Seltsamem, jedoch Real-Existierendem.

Ganz neu ist das Stilprinzip der literarischen Flaschenpost nicht. Poe erzählt in Die Flaschenpost, seiner frühen Erzählung von 1883, von einem reichen, gebildeten, jedoch von Unrast getriebenen jungen Reisenden. Interessanterweise steht auch dieser Erzählung ein Vorwort voran, das die Glaubwürdigkeit des Protagonisten erhöhen soll, da die Geschichte selbst unglaublich bleibt. Bei einem Unwetter, eine Welle hat alle vom Schiff gespült, wird der junge Mann wie durch ein Wunder gerettet und treibt auf dem manövrierunfähigen Schiff hoffnungslos auf offener See, bis dieses mit einem zweiten Schiff zusammenstößt, auf das er geschleudert wird. Die wundersame zweite Rettung ist gleichzeitig sein Untergang. Es handelt sich um eine Art Geisterschiff, das auf ein finis terrae zurast. Die von der unerhörten Begebenheit berichtende Flaschenpost bricht ab mit den Worten: „wir geraten in den Schlund des Strudels – und unter dem Brüllen, Bellen, Donnern des Ozeans und des Sturmes – geht ein Schauder durch das Schiff – und o Gott! – es – schießt – hinab …“. Auch Schwaners Erzählungen geben, die Funktion der Flaschenpost als letztes Notsignal nutzend, Zeugnis von Katastrophen, von weiblichen Randexistenzen, Frauen in Extremsituationen der Liebe, des Lebens, der Einsamkeit… Darin erinnern die Miniaturen an Bachmannsche Erzählungen und nicht nur im Besonderen an „Undine geht“.

Man merkt den Texten an, dass hier eine Autorin am Werk ist, die – als langjährige Journalistin und Leiterin einer Schreibwerkstatt – es versteht, mit Sprache umzugehen und dichte Konstrukte voller ironischer Anklänge zu gestalten. Mit viel Spaß am Fabulieren und einem sehr sprachspielerischen Umgang knüpft sie ein dichtes Assoziationsgeflecht aus dem Mythenreservoir des Meeres. Mondgestalten und Wasserwesen, mythische, märchenhafte, biblische und reale Figuren, Piraten, Sirenen, Fischforscher und Meerjungfrauen bevölkern Schwaners „Mondfahrbücher“. Die sehr heterogenen literarischen Formen Tagebuch, Reisebericht, szenisches Schreiben, Gedicht, Lexikonartikel … werden durch die Meerthematik und den Rahmen der fiktiven Bibliothek zusammengehalten. Dieser Zusammenhang tut dem Band gut, auf der anderen Seite jedoch bewirkt die Verwendung von ähnlichen Wortfeldern auch, dass sich die einzelnen Briefe wenig voneinander unterscheiden und so ein Geist, eine Stimme in verschiedenen Formen aus den einzelnen Flaschen spricht. Das schmälert die Fiktion des Dokumentarischen. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Akribie der Flaschenpostenbibliothekare bleiben die Briefe selbst nämlich vage. In den meisten Texten kommen Protagonisten zu Wort, die wenig bis gar nichts an biographischen Daten preisgeben. Dies entspricht der programmatischen Absicht der Autorin, die im Vorwort dazu schreibt: „Ihr Blick scheint auf anderes gerichtet, verschoben. Ein Anlass vielleicht, genauer zu forschen.“ Es führt jedoch leider dazu, dass die Figuren für den Leser sehr blass wirken und wenig Möglichkeit besteht, an den hermetischen Botschaften anzudocken. Die stärksten Erzählungen bleiben jene, in denen unterscheidbare Stimmen auftauchen wie in „Hai ahoi“ oder „Il mare diretto“.

Als letzte Flaschenpost findet sich ein „Manifest der Mondfälscherin“, das die Poetik des Bandes sein könnte: „Der Mond ist weder Materie noch Himmelskörper. Er ist ein Prinzip, das sich aus dem Wunsch nach Präzision ergibt. Präzision heißt Gerechtigkeit fürs Detail: Keine Verdrängung des Irrationalen, Surrealen oder Unverständlichen mehr aus der Sprache! Stammelt, stottert und phantasiert, collagiert oder redet in Zungen, zerhackt die Grammatik! Schärft eure Sinne! Werdet zu Wind und Wolkenköpfen! Mondmotor anwerfen! Vivat! Und frisch das Fernrohr poliert…“ Das ist wagemutig. Die Autorin geht ein großes Risiko ein, dass ihre Flaschenpost nicht beim Leser ankommt und weitertreibt. Dies schafft aber auch einen enormen Freiraum. Und so schwer das Entziffern der „Flaschenposten“ manchmal ist, auf dem Tauchgang durch den maritimen stream of consciousness finden sich bei Schwaner manch seltene Perlen: Phantasievolle Figuren, wie die Bibliothekarin, die mit ihrem Fischschwanz im Plastikeimer unter dem Schreibtisch paddelt und am „letzten Posten vorm Paradies“ Flaschenpost sortiert oder die Bemerkung, dass Reisen ein Anagramm von Sirene ist.

Lunarische Logbücher.
Klagenfurt, Wien: Ritter Verlag, 2007.
136 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-85415-415-0.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 07.01.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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