#Roman

Lunarda

Selma Mahlknecht

// Rezension von Martina Wunderer

Aber wo in königlicher Milde
Ihren Zauberstab die Muse schwingt,
Blühen schwelgerisch und kühn die Saaten,
Reifen, wie der Wandelsterne Lauf,
Schnell und herrlich Hoffnungen und Taten
Der Geschlechter zur Vollendung auf.

(Friedrich Hölderlin, Hymne an die Muse)

„Der Maler und seine Muse“. So betitelt der Kunstkritiker Serafin Möwenfeld das letzte Bild des Malers Castor Damaskus. Es zeigt eine junge Frau in einem orangefarbenen Kleid, hinter ihr einen Spiegel, „und darin, schmal und fast nur eine Ahnung, D.s Gesicht. […] Ich dachte, ich muss dich hassen, setzte Martin wieder ein. Seine Stimme war jetzt leiser, fast ehrfurchtsvoll. Aber niemand, der dieses Bild sieht, wird dich je hassen können. Dieses Bild ist die Liebe.“ Eine leidvolle, weil unerfüllbare Liebe jedoch, „die ihren Namen nicht zu nennen wagt“ (Oscar Wilde), keusch hüllt sie sich in orangenes Tuch.

Paulas leidenschaftliches Flehen – „Ich kann nicht mehr warten. Die Sehnsucht nach deiner Nähe verschlingt mich. Ich will dir gehören, gehöre dir schon längst“ – bleibt ungehört. Die Schöne flieht unter Tränen, barfuß mit gerafftem Rock und wehendem Haar, die High Heels in der Hand.

Überhaupt spielen Schuhe mit hohen Absätzen eine gewisse Rolle in diesem Roman, außerdem Tangas, rotes Haar, Lidstrich und Sommerkleidchen ohne was drunter. Aus der unscheinbaren lesbischen Studentin Paula wird in diesem Entwicklungsroman – leise angeleitet durch Damaskus – ein Objekt männlicher Begierde, das sich zunehmend selbstbewusst dem bewundernden Blick des alternden Künstlers darbietet. Und sich gleichzeitig glücklich schätzt, endlich wie eine richtige Dame behandelt zu werden, wenn er ihr höflich in den Mantel hilft, sie zur Tür begleitet und ihr galant den Arm reicht, wenn sie auf ihren Stilettos das Gleichgewicht zu verlieren droht. Zur Erleichterung aller emanzipierten Leserinnen mischt sich jedoch endlich Freundin Birgit ein und macht Schluss mit diesem Unfug. Wortreich argumentiert sie, dass „die Abschaffung der Dame […] ein wichtiger Durchbruch auf dem Weg zur Gleichberechtigung gewesen sei.“ Am Ende ihrer Standpauke muss Paula erkennen, das sie für Damaskus „das vollkommene Objekt“ ist, weiter nichts. Und sie dankt es ihm mit Selbstgebackenem, grenzenloser Bewunderung und wachsender Leidenschaft, die sie zunächst nur ihrem Tagebuch anvertraut.

Dieses Tagebuch lesen wir nun, und werden Zeuge von Paulas Metamorphosen: Das liebe nette Mädchen Paula May verwandelt sich in Lunarda – wie Damaskus sein schönes Aktmodell und Objekt der Inspiration nennt – verwandelt sich weiter in Ilse Paula Mayerhofer, die furchtlos in ihre Zukunft blickt. Unter dem liebenden Blick des Mannes ist aus dem unsicheren Mädchen eine selbstbewusste Frau herangewachsen: „Es ist Zeit für mich, alle Bilder zu verlassen. Ich habe keine Angst vor dem Weg, der vor mir liegt.“

Die Autoren Selma Mahlknecht und Herbert Rosendorfer haben keine Angst vor großen Gefühlen. Das völlige Fehlen von ironischer Brechung oder erzählerischer Distanz zu den Figuren ist der Fiktion des Tagebuchs geschuldet – der Leser soll sich gänzlich mit Paulas Innenperspektive identifizieren, sie allein verfügt als Ich-Erzählerin über die Handlung, erst gegen Ende kommt Damaskus mit seinen letzten Aufzeichnungen zu Wort. Paula neigt – auch sprachlich – zu großen, schwelgerisch kühnen Gesten, die manches Mal leider Klischees bedienen und metaphorisch dem Kitsch etwas zu nahe kommen.

Selma Mahlknecht Lunarda
Roman.
Innsbruck: Edition Laurin, 2011.
320 S.; geb.
ISBN 978-3-902719-91-1.

Rezension vom 05.04.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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