Unter dem schön sperrigen Titel luft verkehrt stock papier – das ist schon beinah ein ganzer Zauner-Vers – sind Gedichte aus sieben Jahren versammelt, wie der Untertitel verrät. Den Gedichten selbst ist kein Entstehungsdatum angefügt, sie tragen lapidar den ersten Vers als Titel (nur im Inhaltsverzeichnis, nicht als eigene Überschrift) – Signale, die den Werkcharakter verstärken; die Gedichte sind keine Solitäre, sondern ein Ganzes, dessen Grenzen für eine Publikation willkürlich gesetzt wurden. Die einzelnen Texte „funktionieren“ natürlich in sich und sind auch „klassisch“, rhythmisch ausgewogen, als Gedichte komponiert; die sprachlichen, insbesondere die syntaktischen Verfahren sind jedoch annähernd ident. Der Dichter arbeitet zumeist mit einfachen Satzkonstruktionen, die wie Behauptungen oder Feststellungen erscheinen. Dabei ist, wie aus früheren Gedichtbänden bekannt, die Nähe zur Prosa stets spürbar – ein Gefühl, das klar in die Versschranken verwiesen wird.
Die Begriffe, die semantischen Einheiten werden durch Zauners Textmaschine getrieben, heraus kommen Inversionen, Umkehrungen, Spiralen, Kreisel („im drehmoment der schleife wurf“), die neue Begriffszusammenhänge schaffen. Mag mancher Vers für sich genommen als Nonsensdichtung erscheinen („was genäht ist wird aus griffen spritzen“), so generiert der Textfortgang durch die mehrfache Dynamisierung ein Netz an immanenten Bezügen, zugleich semantische Freiheiten und neue Ordnungszusammenhänge. Diese neuen Verbindungen öffnen Fenster in (noch) unbekannte Bedeutungswelten. Je länger man liest, desto wahrscheinlicher, „realer“ wird dieses Sprachwerk, man bewegt sich zunehmend auf eine „Wörtlichkeit“ zu und in diese Fenster hinein: „wenn aber das loch hier im foto / ein bild ist aus dem spiegel / dann tropft vielleicht / mein ohr durch den krach“
Der Ende November mit dem Siemens-Literaturpreis ausgezeichnete Dichter hat sich mit luft verkehrt stock papier wegbewegt von einem zerschneiden das sprechen (so ein programmatischer Titel in der Linzer Edition Neue Texte, 1989), weg von einer Art Vivisektion an der Sprache hin zum Zerschneiden der Bedeutungen. Dabei arbeitet Hansjörg Zauner, der auch als bildender- und Film-Künstler tätig ist, viel mit visuellen und optischen Begriffen, mitunter hat man sogar den Eindruck, er arbeite selbst mit der Sprache foto- oder filmtechnisch. Der Doyen der avancierten österreichischen Literatur, Heimrad Bäcker, bringt diese Beobachtung in seinem Nachwort auf die schöne Formel „‚doppelbelichtung‘ von Wortrand zu Wortrand“.
Einen gewichtigen Teil seiner Textenergie legt Zauner auf die Durchdringung physischer Phänomene („körper um körper / wie fleisch durcheinander fleisch“), Körperlichkeit wird das Thema osmotischer Textströme („ich bin das / durchmichdurchgehende“), verschiedenste Aggregatzustände werden denkbar („wo ich bin als haufen / mitten im hier“). So wird der Körper auch zu einer Durchgangsstation kognitiver Vorgänge – fast möchte man sagen: kognitiver Zustände. Und dieses Phänomen vollzieht sich auch an anderen uns umgebenden Gegebenheiten – etwa Landschaften („die gegend rutscht wie ein reifen / ins auto gleichzeitig hinein“). Zauners Methode ist voller Exaktheit – dabei ergibt sich als „Nebenprodukt“ viel Sprachwitz – und Schärfe, die allerdings nicht durch herkömmliches Scharfstellen erreicht wird („das foto zergeht in der gegend“). Und noch etwas ist dieser Literatur zu eigen: Aktualität. Aktualität nicht im Sinne, wie sie die eingangs assoziierten Beispiele verstünden, sondern wie man sie aus Heimrad Bäckers Diktum herauslesen kann: Hansjörg Zauner „stößt am weitesten von aller heutigen Literatur in ein nicht erkundetes Begriffsgelände vor, er insistiert darauf, daß ein Autor diese Arbeit machen muß, damit Literatur nicht zu Brei wird (den man löffelt).“