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Elfriede Gerstl, Herbert J. Wimmer

// Rezension von Claudia Peer

Wann haben Sie Ihre letzte Postkarte geschrieben? Oder gehören Sie auch zu denen, die außer einer Urlaubs- und vielleicht noch Weihnachtskarte im Jahr nur noch e-mails schreiben und ihre Schrift nur durch ihre Unterschrift wieder einmal zu Gesicht bekommen? Dem wollen Elfriede Gerstl und Herbert J. Wimmer offensichtlich mit ihren Postkarten Abhilfe schaffen. Und wer freut sich schließlich nicht, wenn er neben Reklame und Rechnungen lustige, kryptische, zum Denken anregende Sprüche und Wörter in seinem Postkasten vorfindet?

Allerdings müssen diese Karten nicht unbedingt wieder aus der Hand gegeben werden, selbst wenn damit der Sinn der Sache vielleicht etwas geschmälert werden sollte. Wer sich nicht mehr trennen kann von den schwarzen Karten mit der weißen Schrift, darf sich die Box ruhig zum Wiederlesen ins Bücherregal stellen. Die Form der Box lässt ohnehin eher an Bücherregale als an Briefmarken denken. Es ist schade, dass einem ein Spruch wie: „dass es uns gibt / ist mir transzendenz genug“ nicht unter den Wien-Ansichtskarten in der Trafik um die Ecke entgegenspringt – unvermutet und zufällig.

Lesenswert sind nicht nur die Sprüche und Wörter auf der Vorder-, sondern auch deren Titel auf der Rückseite, die da z.B. heißen: „österreichische dauer karte, immanenzkarte, nicht unterdrückbare Gerstl-Karte, weil’s-wahr-ist-karte“ oder „therapie-verweigerungs-karte von Elfriede Gerstl“, auf der vorne zu lesen ist: „neurose ist macht“.
Auf der „Festtagskarte von Elfriede Gerstl“ heißt es: „schenk mir / was keine ware ist“. Die lange Zeit nicht mit Ruhm und Geld beschenkte Elfriede Gerstl hat nicht nur einen Hang zu amateriellem „Luxus“ wie Spaziergängen im 1. Bezirk und über Wiens Flohmärkte, sondern auch zur dichterischen „Kleinkunst“. Und dass diese Kunst nur dem Anschein nach klein ist, wusste auch Heimito von Doderer, der in der Presse vom 4./5. Mai 1963 über Gerstls erstes Buch schrieb, dass alle Kleinkunst edel, immer traditionslos und sprachlich von höchster Perfektion sei, um fortzufahren: „Wer kann das? Durchaus kann es Elfriede Gerstl, wie ihr kleines Buch ‚Gesellschaftsspiele mit mir‘ beweist“.

Minimalistisches Erzählen mit essayistischer Reflexivität ist auch Herbert J. Wimmer, Verfasser der Postkarte „das minimum / ist das maximum“, bestens vertraut. So kommt sein Ambivalenz-Roman „das offene schloss“ (1998) ohne Zeichensetzung aus und seine „elf micromanen transformationen“ aus dem Buch „Die flache Kugel“ (1993) ohne Wörter, die das Sinngeflecht erhellen könnten. „reinheit ist mangel an gemischtem“ ist auf Wimmers „1. mangel-karte“ zu lesen. Dass nichts für sich allein steht, sondern immer schon interagiert und fluktuiert und das auch so sein soll, kann als Wimmers Grund-Arbeitsthese angesehen werden, wie auch sein Roman „der zeitpfeil“ (2003) zeigt, in welchem ein Gratwandern zwischen Naturwissenschaft und (Inter-)Subjektivität, zwischen Intellekt und Emotion nicht nur zu inhaltlich produktiven Paradoxien führt. Auch die Form wird bei Wimmer immer durch zufällige Brüche gesprengt, die Sätze zerreißen und feste Sinngebilde zerstören, denn auch Form und Inhalt sind im postmodernen Roman ‚gemischt‘. Eine solche Arbeitsweise hinkt dem Arbeitsaufwand beim traditionellen Erzählen aber keineswegs nach, ganz im Gegenteil: „literatur / ist das dauernde umpudern / des geschriebenen“. (Wimmers „ottos autopoietische écriture-karte“)

Elfriede Gerstl sprüchelt nicht nur selbst gerne, sondern hängt sich auch gern einmal einen guten Spruch ins eigene Zimmer, wie der genaue Betrachter bemerkt, wenn er sich die 26 Fotos anschaut, die Wimmer von Gerstls Wohnung gemacht hat und die im Prosaband „Kleiderflug“ (1995) nachzusehen sind. Auf dem zehnten Foto ist ein Plakat an der Wand zu entdecken mit dem Spruch: „Unser Kopf ist rund, / damit das Denken / die Richtung / wechseln kann.“ Francis Picabia. Picabia – Maler, Poet, Essayist und Leitfigur des Pariser Dadaismus, der den Surrealismus mithervorbrachte – hat in der Kunst und Literatur neue Wege beschritten wie in der Philosophie Ludwig Wittgenstein – eine für Gerstl wichtige Figur wie Konrad Bayer oder Oswald Wiener, dessen Sätze in den „Philosophischen Untersuchungen“ sie als „poetische Bilder“ bezeichnet. Wittgenstein variierend, heißt es auf einer Gerstl-Karte – und auch in ihrem Buch „Spielräume“ (1977): „alles was man sagen kann / kann man auch beiläufig sagen“.

Vielleicht steckt aber auch ein wenig Ironie dahinter, wenn Gerstl sich mit der minimalsten Kleinstform, dem Sprüche- und Wörter-Schreiben („metaferl“ – wiener vergleich-Karte von Wimmer/Gerstl) auseinander setzt, wie ein Gedicht aus dem Buch „Unter einem Hut. Essays und Gedichte.“ (1993) nahe legt:

wenn dann ja

kaum hab ich ein gedicht geschrieben
schieb ich eins nach
oft steckt ja ein zweites
in der kopfröhre
gleich ist er fertiggebacken
der kleine keks
den in büchern versteckt
keiner essen mag
anders wenn ein zwei zeilen
mundgerecht auf einer plakatwand
stehen
oder im werbefernsehen
ja dann
dann ja

Elfriede Gerstl, Herbert J. Wimmer LOGO(S)
50 Postkarten.
Graz, Wien: Droschl 2004.
Postkarten in Schachtel, 15 x 21 cm.
ISBN 3-85420-654-2.

Rezension vom 11.10.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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