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Löcher, noch und nöcher

Manfred Rebhandl

// Rezension von Georg Renöckl

Der Titel ist eigentlich eine Untertreibung: In Manfred Rebhandls Löcher, noch und nöcher geht es nicht in erster Linie um das eine oder andere Loch, das in Trennwände zwischen Schlafzimmern gebohrt, in Goldhauben geschossen oder in ohnehin schon brüchige Eisdecken gesägt wird. Derartige Löcher nehmen sich nämlich vergleichsweise harmlos aus angesichts der gähnenden moralischen Abgründe, die sich im Lauf der Krimihandlung im finsteren Ausseerland und seinen ebenfalls nicht besonders hellen Einwohnern auftun.

Da ist zunächst Gendarm Biermösel zu nennen, Protagonist der bisher zweibändigen Serie und ein besonders hartgesottener Vertreter der zahlreichen „hardboiled detectives“, die der Krimiboom der letzten Jahre der österreichischen Literaturlandschaft beschert hat. Man kann ihn sich als schlechtgelaunten Salzkammergut-Bud-Spencer in Wetterfleck und Dauerschnapsrausch vorstellen, der auf seinem Dienstmotorrad, mit Glock und Schrotflinte bewaffnet, für Kriminalitätsprävention im Ausseerland sorgt – oder aber für Tatausgleich, indem er abgenommene Führerscheine gegen Bargeld wieder herausrückt.

Dumm wird es nur, wenn alle Prävention durch Beflegelungen („Dort ist die Tür, du Trampel“) oder unter Einsatz der Fäuste („Die Linke heißt ‚Krankenhaus‘, und die Rechte heißt ‚Friedhof‘.“) nichts nützt – das Ermitteln beherrscht Biermösel nämlich wesentlich schlechter als das flächendeckende Austeilen von Faustwatschen. Zudem ist der Gendarm zu Beginn des Romans gerade in einer tiefen Krise: Nur der ans bevorstehende Weihnachtsfest erinnernde Duftbaum in seinem „Musentempel“ genannten „Scheißhaus“ ist ihm von Putzfrau Annie geblieben, die das Weite gesucht hat, anstatt sich vom gelegentlich inkontinenten Biermösel „packen“ zu lassen. Seine Schwester Roswitha ist unglücklich in einen Schnulzensänger verliebt und verabsäumt es daher, ihm seinen abendlichen Schweinsbraten vorzusetzen und Schmalzbrote zu schmieren. Obendrein hat ihm der bulgarische Hausarzt irrtümlich falsche Tabletten verschrieben, die seine Depression verstärken statt bekämpfen, und so schlittert der gefürchtete Prügelgendarm in eine larmoyante Phase der Verweichlichung – was für einen Ordnungshüter im Ausseerland lebensbedrohlich ist. So ist er beispielsweise nicht mehr in der Lage, sich gegen die betrunkenen Einheimischen zu wehren, die ihn mit ihren Punschbechern bewerfen, und nach einem Sturz auf der zum Puff führenden Forststraße ist er zu schwach, um sich aus den Schneemassen wieder herauszugraben. Gottseidank rettet ihn immer wieder sein einziger Freund, der von einem Leben als U-Boot-Kapitän träumende Schneepflugfahrer Lindbichler, doch der verschwindet an dem Tag spurlos, als ein geheimnisvolles Licht vom Grund des Sees herauf zu leuchten beginnt, was nur eine der zahlreichen Episoden ist, aus denen sich nach und nach eine Art Krimihandlung zusammensetzt. Des weiteren verschwindet eine Goldhaube und das Geld aus dem Opferstock, während der Kadaver eines deutschen Industriellen, der erschlagen wird, als er auf einen Zwetschkenkompott-Einlauf zur Behandlung seiner schweren Verstopfung wartet, in einem Meer aus Blut und Kot seiner Entdeckung harrt.

Die abstruse Krimihandlung ist in Rebhandls Roman jedoch Nebensache, sie dient bestenfalls als Anlass für die Darstellung des absonderlichen Treibens skurriler Gestalten in einer wieder einmal besonders dumpf-bedrohlichen österreichischen Provinz. Dabei verwendet der Autor nicht nur viel pechschwarze Tinte, sondern auch einen ziemlich breiten Pinsel. Schnaps und Scheiße fließen in Strömen, Leichen werden per Handgranate entsorgt, deftige Szenen deftig geschildert: Wenn sich Biermösel sogar die Schwester verweigert und er sich selbst befriedigt, dann schießt es aus ihm „heraus wie das Blut aus der abgestochenen Sau, und er denkt sich: Herrlich ist das! Gelobt sei Jesus Christus!“.

Bei allem bedingungslosen Willen zur Derbheit, die Biermösel eher in die Nähe von Franzobels Austrian Psycho-Trash-Krimis rückt als in die von Wolf Haas‘ raffiniert konstruierten Brenner-Krimis, gelingt es Rebhandl doch, wie letzterer eine eigenwillige, an der Mundart orientierte und doch hoch artifizielle Sprache zu entwickeln. Die Erzählung ist durchsetzt mit Anspielungen auf die Bibel und Querverweisen auf Jesus, mit dem sich Biermösel gerne vergleicht. Gemeinsam mit der oft gestelzt klingenden Sprache entsteht dadurch ein ganz eigener Reiz. Biermösel beschimpft seine Mitmenschen wahllos als „Trampel“ oder „Judas Ischariot“, wird von Teufeln heimgesucht, philosophiert über das Schwein und das Paradies und hat einen direkten Draht zu Jesus, der ihm netterweise das Weihwasser im Becken in Marillenbrand verwandelt.

Hat man mit absurdem Brachialhumor keine grundsätzlichen Schwierigkeiten, dann liest sich die Aneinanderreihung von makabren, sexistischen und grotesken Szenen, als die sich Löcher, noch und nöcher präsentiert, durchaus vergnüglich. Ob man allein mit Rebhandls entfesseltem Sprachwitz und seiner Lust an den möglichen Abgründen hinter der rustikalen Idylle gut zweihundert Seiten lang das Auslangen findet, ist wieder eine andere Frage; eine stringentere (Krimi-)Handlung hätte dem Roman sicherlich nicht geschadet. Wer übrigens den Biermösel als vor- bzw. antiweihnachtliche Lektüre versäumt zu haben glaubt, sei getröstet: „Nach dem Rausch ist vor dem Rausch! Also gilt auch: Nach Weihnachten ist vor Weihnachten!“

Löcher, noch und nöcher.
Ein Biermösel-Krimi.
Wien: Czernin Verlag, 2006.
220 Seiten, broschiert.
ISBN 3-7076-0206-0.

Rezension vom 10.01.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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