#Lyrik

Lob der Weltvernunft

Franz Richter

// Rezension von Alfred Warnes

Lob der Weltvernunft, ein im NP Buchverlag erschienener Band mit Gedichten von Franz Richter, kann als lyrische Enzyklopädie oder Summe eines Autors gelesen werden, in der Weltoffenheit, Wissensdrang, Interesse am Menschen in seiner Ganzheit und sensibles Verständnis für das Schicksalsdetail eine geglückte Verbindung eingehen.

Die „Langmut des Lebens und seiner Geschichte“ steht der „Chronik des Ewigen“ gegenüber und, obgleich der „Mensch – profan gesehen – als ein Übergriff“ aufgefaßt werden könnte, entzieht sich der Naturwissenschafter und Lebenskenner Franz Richter nicht dem berührenden Frohgesang von der „Heiligkeit der Materie“. Der Skeptiker und Schwärmer, der Zweifelnde und Glaubende vertraut auf die Oden des Stirb und Werde, auf die im innersten Kern unerklärbar bleibenden Gegebenheiten des Entstehens und Vergehens.

Die Vielfalt und Fülle der Inhalte läßt sich in Kürze nur beispielhaft festmachen:

die Hervorbringung der menschlichen Imagination, ob in Malerei, Wortkunst oder insbesondere der Musik, und die Schöpferkraft der Natur, die bereits in der kleinsten biologischen Einheit zur Vollkommenheit findet, werden kontrapunktiert;
suggestiv – innerhalb eines einzigen Gedichts („Auf dem Balkon“) – kommt es zur ausdrucksstarken Parallelführung der Versuche des Anatomen Galvani mit den Schenkeln der Frösche zur kinderfrisch aufblühenden Empfindung von Romeo und Julia in der Mondnacht in Verona;
die Beobachtung eines Stars am Nistkasten mit den zwei unter Anführungszeichen gesetzten Verszeilen „noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein / für die Dauer eines Flügelschlags“ dringt tief in die Geheimnis-Schichte des Organischen ein – blasphemische Gewagtheit könnte der variatio eines der sieben letzten Worte am Kreuz bei Betrachtung des Textverlaufs des Poems in seiner Gesamtheit wohl kaum als Vorwurf angelastet werden;
die Arbeit am Gartenzaun evoziert die Erinnerung an die Gefangenschaft in Rußlands Steppen, an Stacheldraht und das schnapstrunken in die Weihnachtsnacht hinausgegrölte „Heimat, Deine Sterne“, das Wut und Heimweh übertönen sollte.

Formal wäre als auffällige Nuance hervorzuheben, daß die überwiegende Mehrzahl der Gedichte dem Verszeilen-Endreim verpflichtet ist und dank der umfassenden thematischen Einbeziehung vieler Lebensbereiche und wissenschaftlicher Disziplinen dennoch höchst selten das erwartbare und erratbare Wort auftritt.

Die Kumulation von Positivem im Werktitel als Adversativ zu Erasmus von Rotterdams Lob der Torheit oder zu Emanuel Kants Kritik der reinen bzw. praktischen Vernunft anzusehen, würde gewiß in eine falsche Richtung leiten und hieße die Facetten der Ironie im Instrumentarium des Dichters vernachlässigen.

Vier eindrucksvolle Bilder von Ernst Steiner („Wer nicht zaubern kann, ist kein Künstler“), ein Essay von Reinhart Hosch und ein kluges Aperçu von keinem geringeren als dem Präsidenten des österreichischen P.E.N.-Zentrums, Wolfgang Georg Fischer, selbst Schriftsteller und Kunstexperte von hohen Graden, stellen eine kostbare Ergänzung dar.

Dieser Band mit seinen rund 90 Gedichten ist zusammen mit den 1992 und 1996 erschienenen Büchern Lichtecho und Geheimes wird Signal als die außergewöhnliche Trilogie eines begeisterungsfähigen und im Grunde seines Wesens optimistischen zugleich Zeitgemäßen und Unzeitgemäßen zu kennzeichnen.

Lob der Weltvernunft.
Gedichte.
St. Pölten, Wien: NP Buchverlag, 1999.
136 Seiten, broschiert.
ISBN 3-85326-107-8.

Rezension vom 29.01.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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