Die Zitate der versammelten 32 Autoren und 21 Autorinnen – davon sechs nichtösterreichische – stammen aus Briefen, Prosawerken, Gedichten, Theaterstücken, Tagebüchern, Zeitungsartikel, Lebenserinnerungen und Essays. Ergänzt werden sie mit Fotos der AutorInnen oder Landschaftsaufnahmen, die sich – ebenso wie die knappen biografischen Angaben – auf die vorgestellten Textstellen beziehen. Genauere Angaben zu den Text- und Bildquellen finden sich am letzten Kalenderblatt, wo man übersichtlich nach Woche und AutorIn suchen kann.
Kreuz und quer durch das Land führen die 53 Wochenblätter – von den schneebedeckten Vorarlberger Gipfeln zum Neusiedler See, vom Salzkammergut auf die steirische Weinstraße, die Donau entlang vorbei an den Schornsteinen der Linzer Industrielandschaft in die Hauptstadt mit ihren Straßenbahnhaltestellen, Cafés, Theatern, Mietshäusern und Fabriken bis in die Magazine der Österreichischen Nationalbibliothek. Parallel zu dieser räumlichen Bewegung führt diese Reise auch durch 300 Jahre österreichischer Geschichte – durch helle und finstere Zeiten.
Das älteste Zitat stammt aus der berühmten Predigt „Danck und Denckzahl“, die der Augustinerpater Abraham a Sancta Clara 1680 bei der Wiener Pestsäule im Rahmen eines großes Dankfestes nach dem Erlöschen der Pest in der Reichshauptstadt gehalten hatte. In den „Denkwürdigkeiten meines Lebens“ vermittelt die Autorin Karoline Pichler – in ihrem Wiener Salon waren u. a. Frau von Stael und Franz Grillparzer zu Gast – Einblicke in das bürgerliche Alltagsleben des frühen 19. Jahrhunderts.
Daniel Spitzers 1883 geäußerte Sorgen angesichts seiner bedrohten Urlaubsidylle – „Ach, das arme Pörtschach fängt schon an, ein Modebad zu werden!“ – nehmen sich gegen Adelheid Popps Schilderung ihres Arbeitsalltags geradezu frivol aus: „Ich kam in einen großen Saal, in dem 60 Frauen und Mädchen arbeiteten. An den Fenstern standen 12 Tische und bei jedem saßen 4 Mädchen. Wir hatten die Ware, die erzeugt wurde, zu sortieren, die anderen Arbeiterinnen mussten sie zählen und eine dritte Kategorie hatte den Stempel der Firma aufzubrennen. Wir arbeiteten von sieben Uhr früh bis sieben Uhr abends“, schrieb die Mitbegründerin und Redakteurin der „Arbeiterinnen-Zeitung“ in ihrer 1909 erschienenen „Jugendgeschichte einer Arbeiterin“.
Während Joseph Roth für die „Frankfurter Zeitung“ ein Konzert im Wiener Volksgarten beschreibt, das mit dem Radetzkymarsch endet – „Nun erklang dieser Marsch – der die Marseillaise des Konservativismus ist“ – berichtet Vicki Baum von ihren Besuchen in der Wiener Oper – „Hoch oben im ‚Olymp‘, dem berühmten vierten Rang, kochten wir vor Begeisterung oder straften eine schlechte Aufführung mit unserer gnadenlos-kalten Verachtung.“ Nur wenige Jahre später musste die Schauspielerin und Autorin Hertha Pauli vor der Oper ganz andere Töne hören: „Am Freitag, dem 11. März 1938, hatte ich gegen Mittag ein Rendezvous im Café Herrenhof – nicht mit Seyß-Inquart, den ich weder kannte noch zu kennen wünschte, sondern mit zwei guten Freunden. … An jenem Tag hielten mich Polizeisperren auf, weil junge Nationalsozialisten vor der Oper aufzogen. ‚Heil Hitler!‘ brüllten sie“, erinnert sich Pauli in „Der Riß der Zeit geht durch mein Herz“.
Albert Drach schildert, wie er nach Ende des Zweiten Weltkriegs und nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil jahrelang prozessieren musste, um sein Vaterhaus in Mödling wieder zurückzubekommen: „Der Hausbesorger war immer noch derselbe, der mich bei der Nazistelle angezeigt haben sollte und von dem das schöne Fräulein vom Demokratischen Schriftstellerverband die Einbringung einer Bestätigung begehrt, dass ich selber kein Nazi gewesen sei.“
Auch die Fluchtbewegungen der letzten Jahrzehnte – vornehmlich aus dem Osten Europas – lassen sich in manchen Texten nachvollziehen. Die Ungarin Terézia Mora folgt von der ungarischen Seite des Neusiedler Sees aus dem Drängen der Flüchtlinge in das benachbarte Österreich: „Der See streckt sich wie eine lange Zunge über die Grenze. Wir nennen ihn See, obwohl uns nur der unterste Zipfel von ihm gehört, wo er eigentlich kein See mehr ist, sondern nur noch Schlamm und Schilf. … Wo der Schilfgürtel endet, beginnt das Drüben mit offenem Wasser und Segelschiffen. Die Fremden, die zu uns kommen, wollen alle dahin.“
„Dort“ ist nach zahlreichen Aufenthalten in anderen Ländern auch Vladimir Vertlieb gelandet. In „Zwischenstation“ beschrieb er 1999 skurrile Episoden einer russisch-jüdischen Familiensaga wie jene von der Mutter, die im Wien der 70er Jahre Arbeit als Putzfrau suchte. „Eines Tages ist Fensterputzen angesagt, und die Chefputzfrau holt eine Sprühdose, auf der Glücklichsauber steht, öffnet den Verschluß: ‚Du über Glas sprühen! Dann wischen! Wenn du drücken Knopf: Bsst! Knopf drücken macht bsst! Ja? So funktioniert das! Zuerst sprühen, dann wischen! Ja?‘ ‚Ich verstehe‘, sagt Mutter, die in Russland Physik und Mathematik studiert hat. ‚Ich weiß, wie man mit so was umgeht. Danke.‘ Sie lächelt.“
Christa Gürtler ist eine facettenreiche Zusammenstellung gelungen, der man gerne 53 Wochen an die unterschiedlichsten Schauplätze österreichischer Literatur und Geschichte folgt.
Für die nächste Ausgabe könnte man aber vielleicht einen graphischen Relaunch ins Auge fassen.