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Liebe ist die letzte Brücke

Johannes Mario Simmel

// Rezension von Arno Rußegger

Nach Gott schützt die Liebenden (1957), Liebe, die den Kopf verliert (Drehbuch, 1956) und Liebe ist nur ein Wort (1963) wird im Titel des bislang letzten Romans von Johannes Mario Simmel das Liebesthema wieder einmal in affirmativem Sinn aufgegriffen. Es ist erstaunlich, dass der Autor bis heute Fatalismus und Frömmigkeit, Zweifel und Glauben seiner Leser gleichermaßen bedient, wie es eben kommt. Denn auch die Inhalte seiner Bücher sind von solchen extremen Stimmungsschwankungen geprägt, folgen die geschilderten Emotionen meist doch aufeinander wie ein Braten auf die Suppe. Das hat sich beim breiten Publikum mit Heißhunger auf literarische Hausmannskost außerordentlich bewährt, wie man weiß. Warum sollten also Erfolgsrezepte geändert werden? Oder entsprechen Simmels Ingredienzien nach Jahrzehnten des großen Erfolgs doch nicht mehr ganz dem Geschmack der Zeit?

Bei der Lektüre von Liebe ist die letzte Brücke hat man den Eindruck, Simmel habe keinen rechten Biss mehr beim Schreiben, es fehle ihm an Entscheidungskraft, ob er nun einen Elektronik-Thriller oder eine Beziehungsschnulze gestalten will. Der Genre-Mix, früher ein Markenzeichen, gelingt nicht mehr. Zu aufwändig und kraftraubend sind wohl die notwendigen Recherchen, zu kompliziert die Sachverhalte vor allem im High-Tech-Bereich. So geht Simmel an den ambitionierten Stoff eines großangelegten Computer-Hacker-Verbrechens heran wie der Klassenprimus eines Volkshochschul-EDV-Einführungskurses für Senioren: zaghaft fasziniert und unbeholfen, ängstlich und mahnend, kleinlich und Überlegenheit heischend, im Grunde vollkommen überfordert. Die Erklärungen zu „Schutzprogrammen“, „Fire-Walls“ und „Watch-Dogs“ (vgl. S. 310) ähneln in den Formulierungen Aufklärungsfibeln für den Gebrauch von Kondomen. Ebenfalls unfreiwillig komisch erscheint in diesem Kontext die Selbstüberschätzung in folgender Präambel: „Um zu verhindern, daß die im Roman geschilderten Anschläge als Leitfaden für Terroraktionen benützt werden, habe ich bei der Beschreibung der dazu unabdingbaren Voraussetzungen wissenschaftlich falsche Angaben gemacht.“ (S. 6) – Na, dem Simmel-Vater sei Dank!

Den Hauptteil der Handlung nimmt eine umständlich und langatmig angeleierte Dreiecksgeschichte ein zwischen dem verheirateten Philip Sorel, einem Informatikgenie, Serge Moleron, einem entmannten Galeristen (!), und Claude Falcon, einer Fotografin mit beruflichem Schwerpunkt Kriegsberichtserstattung. Am gelungensten sind dabei noch die Beschreibungen des zentralen Schauplatzes Genf in Reiseführermanier. Dort, vor allem rund um das feudale Hotel Beau Rivage, spielt sich ziemlich alles ab, vom Knutschen bis zum Attentat. Im übrigen geht es um Computer-Viren und die Gefahren, die sie für globale Netzwerke darstellen. Unter Beweis gestellt wird das mit Hilfe dreier zusammenkonstruierter Katastrophenszenarien, wobei die Dreizahl wohl sinnbildlich für das unvorstellbare Ausmaß des Bedrohungspotentials für die Allgemeinheit verstanden werden soll: Zuerst entweicht eine Chlorgaswolke aus einer Spandauer Medikamentenfabrik und verursacht den Tod mehrerer Dutzend Menschen; dann gibt es einen Störfall in einem Düsseldorfer Teilchenbeschleuniger, mit ebenfalls einem Todesopfer; als zuletzt über Ingolstadt zwei Verkehrsflugzeuge in der Luft zusammenstoßen, verdichten sich die Hinweise auf ein groß angelegtes Verbrechen mit elektronischen Mitteln. Was an erzählerischer Spannung dennoch nicht aufkommt, soll durch die übliche Betroffenheitsrhetorik wettgemacht werden, die von vornherein „uns alle“ (S. 6) zu vereinnahmen sucht.

Doch einige Menetekel, die Simmel – verbohrt und nicht ohne eine gewisse Schadenfreude – an die Wand eines kollektivistischen Bewusstseins skizzieren will, sind innerhalb von nur wenigen Monaten schon wieder verblasst, wie etwa der im Rückblick recht harmlos verlaufene „Millennium-Bug“. Gerade dieser Umstand demonstriert am anschaulichsten, wie es um die viel beschworene Aktualität und Aufdeckerqualität von Simmel-Büchern tatsächlich bestellt ist: Sie entpuppen sich häufig als Symptome hysterischer Anmaßungen.

Diese treten allerdings auch stilistisch hervor, wodurch sich eigentümlicherweise so etwas wie eine Korrespondenz von Inhalt und Form ergibt. Ein Beispiel: Auf der Ebene der Figurencharakterisierung kann es Simmel anscheinend nie zu bunt werden, um seine Gestalten als außergewöhnliche Persönlichkeiten zu kennzeichnen. So darf sich ein Staatsanwalt namens Niemand vorsätzlich wie TV-Inspektor Columbo gebärden, und ein führender Manager mit einem „schiefen Maul“ (S. 28) zeichnet sich durch ein paar sprachliche Ticks aus, die einfach endlos wiederholt werden. Außerdem wird der Protagonistin ein Vergewaltigungstrauma verpasst und einem missratenen Sohn ein Vatertrauma. Alles klar?

Am ärgerlichsten jedoch ist nach wie vor die pseudo-sozialistische Gesinnung, die die Hauptfiguren Simmels meist zur Schau tragen. Diesmal gehen Philip Sorel, der natürlich aus ärmlichsten Verhältnissen stammt und sich gegen alle Widerstände allein hinaufgearbeitet hat, die Augen auf, und er erkennt die kriminellen Machenschaften globalisierter Konzerne. Seine harsche Kritik am Weltkapitalismus hindert ihn aber keineswegs daran, sich selber auf Kosten seiner Firma wochenlang in der Nobelsuite eines Luxushotels einzumieten oder seine Gier nach Claude mit exklusivsten Geschenken zu untermauern. Das zeugt nicht gerade von Klassenbewusstsein, sondern wirkt eher wie die neoliberale Wunscherfüllung dessen, was man früher einmal den amerikanischen Traum genannt hat.

Liebe ist die letzte Brücke.
Roman.
München: Droemer Knaur, 1999.
592 Seiten, gebunden.
ISBN 3-426-19415-5.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 02.10.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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