#Sachbuch

Lexikon Literaturwissenschaft

Gerhard Lauer, Christine Ruhrberg (Hg.)

// Rezension von Martin Sexl

Gleich vorweg: Das Buch gehört in die Tasche einer/eines jeden Literatur- und Kulturwissenschaftlerin/Kulturwissenschaftlers und einer/eines jeden Studierenden literatur- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen!

Aber, so mag der Einwand vielleicht lauten, gibt es nicht schon genügend Lexika und Nachschlagewerke im Bereich der Literaturwissenschaft? Und ist es in Zeiten von jederzeit aktualisierbaren Online-Datenbanken überhaupt noch sinnvoll, Gedrucktes auf den Markt zu bringen? Die erste Frage muss zwar mit einem verhaltenen „Ja“ (oder vielleicht einem „Jein“) beantwortet werden, allerdings füllt das neue, nun vorliegende Lexikon durchaus eine Lücke: Bislang waren Lexika zur Literaturwissenschaft entweder sehr umfangreich – man denke nur an das „Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft“ mit über 900 Lemmata und meist sehr ausführlichen Erläuterungen – und daher teuer und, ja, auch schwer. (Letzteres ist etwa für Zugreisende ein ‚gewichtiges‘ Argument.) Oder die Handbücher sind kompakt und auch für wenig Begüterte leistbar, was im Gegenzug aber oft um den Preis allzu knapper Erläuterungen erkauft wird. Ein Lexikon, das sich auf hundert Grundbegriffe beschränkt, die alle 3 bis 4 Seiten Raum zur Verfügung gestellt bekommen, schlägt also einen guten Mittelweg ein, den bislang auch noch nicht so viele begangen hätten, dass es nicht Sinn machte, ihn neuerlich zu betreten.
Die zweite Frage verdient auf jeden Fall ein „Ja“, denn Datenbanken können Gedrucktes nicht immer ersetzen, auch nicht im Falle von Nachschlagewerken: Immer wieder ist man froh, wenn man – gerade auf Reisen – auf ein Buch zurückgreifen kann, umso mehr, wenn dieses im üblichen Reclam-Format auftritt und somit wirklich in jeder Tasche Platz findet.

Beide Antworten sind noch nicht hinreichend, um sich dieses Lexikon anzuschaffen – aber es überzeugt auch in Konzept und inhaltlicher Umsetzung. Die beiden Herausgeber/innen konnten für ihr Projekt namhafte Expert/inn/en gewinnen, die sich in der Regel nicht nur seit Jahren, ja Jahrzehnten mit bestimmten Themenfeldern und Begriffen beschäftigen, sondern oft auch dafür bekannt sind, ihr Wissen in knapper und verständlicher Form zu vermitteln (und jede/r, die/der Sammelbände oder Lexika betreut, weiß, dass es nicht einfach ist, eine Gruppe hochkarätiger Wissenschaftler/innen in einem Projekt zusammen zu spannen): Bodo Plachta, Els Andringa, Ansgar und Vera Nünning, Monika Schmitz-Emans, Jost Schneider oder Norbert Groeben – um nur einige wenige der erfahrenen Leute zu nennen – garantieren dafür, dass der Spagat zwischen Detailgenauigkeit und (historischem) Überblick gelingt. Und das ist bei dem knappen zur Verfügung stehenden Platz nun wirklich keine einfache Aufgabe. „Metrik“, „Drama“ oder „Mimesis“ auf vier Seiten zu erläutern, mag ja noch gut machbar sein oder zumindest erscheinen, aber „Literatur“, „Medien“, „Sprache“, „Kultur“ oder „Wissenschaftsgeschichte“ auf so wenigen Seiten zu erklären, grenzt an die Quadratur des Kreises, vor allem wenn man an den Anspruch des Lexikons erinnert (den die beiden Herausgeber/innen im Vorwort anführen), die Begriffe nicht nur in den Rahmen theoretischer Konzepte einzubetten, sondern auch die Begriffsgeschichte darzustellen, die ja bei den allermeisten Stichworten bis in die Antike zurückreicht.

Es mag sein, dass nicht alle Einträge diesen Anspruch auch erfüllen und die sehr hoch gelegte Latte auch überspringen, allerdings schafft es die überwiegende Mehrheit unter ihnen, manchmal mit so viel Witz, Leichtigkeit und Eleganz, dass es nur so eine Freude ist, in dem Lexikon zu lesen, und dass man es gerne den Studierenden anempfehlen wird. Gerade für den Unterrichtsgebrauch ist es auch deshalb sehr gut geeignet, weil nach jedem Begriffseintrag einige wenige und – zumindest in den Fällen, die der Rezensent zu beurteilen vermag – ausgezeichnete weiterführende Werke genannt werden. Das Ende des Buches bilden ein Namens- und ein Sachregister sowie eine Liste von 22 Handbüchern, Nachschlagewerken und Lexika aus dem Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaft sowie der Philosophie.

Der Einwand, dass durch die Beschränkung auf 100 Begriffe hunderte ausgeschlossen bleiben, ist nur dann stichhaltig, wenn man es auf Vollständigkeit anlegt – und das haben die beiden Herausgeber/innen nicht vor. Vielmehr haben sie „die Praxis der literaturwissenschaftlichen Fächer zur Richtschnur gewählt“ (S. 10), das heißt danach gefragt, welche Begriffe besonders häufig gebraucht werden. Dass die Begriffe gänzlich unterschiedlichen Feldern angehören (und „Aufführung“ neben „Ästhetik“ zu finden ist oder „Emotion“ neben „Edition“), stört dabei nicht im Geringsten – im Gegenteil: Die Vielfalt und Heterogenität literaturwissenschaftlicher Disziplinen und literaturwissenschaftlicher Arbeit kommen so am besten zum Ausdruck.

Kurz: Vorbehaltlos empfohlen!

Gerhard Lauer, Christine Ruhrberg (Hg.) Lexikon Literaturwissenschaft
Hundert Grundbegriffe.
Stuttgart: Reclam, 2011.
384 S.; geb.
ISBN 978-3-15-010810-9.

Rezension vom 02.05.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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