der Lemming und seine hochschwangere Freundin Klara spazieren durch den neunten Bezirk. Just als über den Dächern ein Hubschrauber auftaucht, setzen Klaras Wehen ein. Gegen den Hubschrauberlärm kann der Lemming selbst auf seinem neuen Mobiltelefon nicht anschreien, und weil das Taxiunternehmen am anderen Ende der Leitung kein Wort versteht, kommt Benjamin in einem Klosterhof zur Welt – mit Hilfe von Angela Lehner, die Klara spontan zur Seite steht und bald zur Freundin des Kleinen wird. Benjamin hat nämlich schnell erkannt: „Angela Lehner ist einer der seltenen Menschen, die man lieben kann, auch ohne etwas über sie zu wissen.“
Ausgerechnet in der Weihnachtsnacht nimmt die Freundschaft ein jähes Ende. Angela Lehner liegt tot in ihrem Wohnzimmer, neben sich ein Häferl Kakao mit Rum und Pentobarbital. Selbstmord? Mord? Der Lemming und Klara beschließen, den Tod ihrer Freundin aufzuklären und machen sich mit Hund und Kinderwagen auf Spurensuche.
Kurt Tucholsky hat gesagt, der Mensch sei „ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen läßt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.“ Auch auf die Menschen in Lemmings Zorn trifft das zu – entweder sie machen Lärm, oder sie sind tot. Und zwischen Hubschrauberlärm am Ersten Mai, Presslufthämmern am Weihnachtstag, kirschholzkastenbastelnden Nachbarn und Silvesterkrachern, kurz: im ganz normalen Wiener Wahnsinn, kann man nur Mordgedanken hegen. Genau das tut auch der Lemming, der so hingebungsvoll hassen kann wie kein anderer Ermittler der österreichischen Kriminalliteratur.
Mit Leopold Wallisch hat Stefan Slupetzky eine weitere Kriminalkoryphäe geschaffen – und das ist wahrlich nicht einfach, schließlich ist die österreichische Krimiszene von Wolf Haas bis Heinrich Steinfest von eigenwilligen Figuren und skurrilen Geschichten geprägt. Leopold Wallisch hat sich vom ersten bis zum vierten Fall zu einem immer sympathischeren Charakter entwickelt, er ist sozusagen ganz in seine Rolle hineingewachsen. Ironisch und treffsicher porträtiert Slupetzky die Wiener, ihren Dialekt und ihr Wesen, ihre Vorurteile und Bildungslücken aus dem Blickwinkel des Lemming und ringt dabei dem Leser zwischen Boulevardpresse, kultiviertem Fremdenhass, Rechtspopulismus und korrupten Miethaien noch über die größte Gemeinheit des Lebens ein Lächeln ab.
Lemmings Zorn – in der Gegenwart gehalten, verwoben mit Kurt-Tucholsky-Zitaten und Wiener Dialektausdrücken und voll der Seitenhiebe auf kleine und große Ärgernisse von der „Reinen Wahrheit“ über den „standardisierten Weltbürger“ bis zum Umsichgreifen des Nichtrauchens („Können Sie sich Stefan Zweig und Sigmund Freud vorstellen, die auf dem regennassen Gehsteig stehen und – wie räudige Hunde vor die Tür gejagt – über psychoanalytische Aspekte in der Zweig’schen Schreibkunst diskutieren? Beide mit hochgeschlagenen Mantelkrägen, hektisch an ihren Zigaretten saugend, fröstelnd, mit einem Wort: gedemütigt?“) – ist ein Weihnachtsbuch für all jene, die wie „ALF“, die Mitglieder der „Anti-Lärm-Fraktion“, Rachepläne gegen den Lärm und die dunkle Seite der Donaumetropole schmieden. Es ist auch ein Weihnachtsbuch, das Hoffnung gibt, denn zum Ausgleich für Racheakte, Lärmmacher, Tod und Korruption begegnen dem Lemming auch diesmal Gleichgesinnte, die zu neuen Freunden werden. Und dann gibt es da noch Klara und Benjamin, für die es sich lohnt, den Kampf gegen den Alltag jeden Tag aufs Neue aufzunehmen.