#Roman

Leichte Böden

David Fuchs

// Rezension von Barbara Rieger

Leichte Böden ist der zweite Roman des Linzer Autors und Arztes David Fuchs. In seinem Debütroman „Bevor wir verschwinden“ (Haymon 2018) überzeugte Fuchs mit einer einfühlsamen Schilderung der Beziehung zwischen einem angehenden Arzt und einem todkranken Krebspatienten. Ein anderer Patient des ersten Romans, der vom Personal so genannte „tote Kobicek“ fungiert als Bindeglied zum zweiten Roman. In diesem schildert uns der Autor den Alltag in einer Alters-WG und erzählt einfühlsam von Reibungsflächen zwischen der jüngeren und der älteren Generation sowie von den Auswirkungen lange bestehender Konflikte. Denn diese schlummern unter der Oberfläche, unter „leichten Böden.“

In 45 kurzen Kapiteln führt uns der Autor mit zahlreichen Dialogen und präzisen Schilderungen von Alltagshandlungen nahe an seine Figuren heran und macht ihre Eigenheiten und Motivationen nachvollziehbar. Plastisch schildert er ein Haus in einem Dorf am Land, vermischt Erinnerungen an die Vergangenheit mit der Gegenwart, setzt die Kindheit in ein Spannungsverhältnis zum Alter und lässt seinen Hauptprotagonisten dabei zumindest ein wenig erwachsener werden.

Die Jungen

Erzählt wird aus der Perspektive des Enkels des „toten Kobicek“: Daniel Kobicek ist promovierter Biologe und ehemaliger Unternehmensberater, der als Biologielehrer arbeitet. In seinem Sabbatical besucht er seine (Groß-)Tante Klara, die Schwester seines Opas. In ihrem Haus am Land verbrachte er als Kind die Wochenenden und Ferien und spielte mit der Nachbarstochter Maria.
Maria ist im Ort geblieben, Polizistin geworden und wohnt wieder in ihrem Elternhaus. Sie raucht, ist gut im Dartspielen und Bogenschießen und weiß, wie man verstopfte Wasserhähne repariert. Nur in den ehemaligen Schweinestall geht sie nicht.
Eigentlich möchte Daniel nur seinen Porsche holen, den er in der Garage der Tante Klara untergestellt hat. Doch die Batterie des Wagens ist verschwunden und er lässt sich von Maria überreden zu bleiben.

Die Alten

Da ist Heinz, Marias Vater, der bei Klara wohnt und nicht mehr schlucken oder sprechen kann. Zur Kommunikation tippt Heinz in ein Tablet, das eine Stimme erzeugt.
„Ich erkenne Heinz an seinem Atmen. Es macht ein schnarrendes Geräusch, wenn er einatmet, und aus seinem Hals ragt ein Plastikschlauch. Den Schlauch hat er schon lange, seit seiner Krebserkrankung. Heinz war mir aber auch vor dem Atemschlauch unheimlich. Er war immer schon ein alter Mann mit gebeugtem Gang, mit Bartstoppeln, die in alle Richtungen abstanden und mit langen, gelben Fingernägeln, von denen er manche spitz zugefeilt hatte. Wirklich unheimlich für uns Kinder war aber, dass er irgendwo in seinem Haus einen echten Revolver versteckt hat.“ (S. 15)
Da ist „Onkel Alfred“, früher Drechsler und Schnitzer, passionierter Bergsteiger und bei der Bergrettung aktiv, heute schwer dement. Er gibt nur mehr einen einzigen Satz von sich: „Ja, genau.“
Und da ist „Tante Klara“, die alles so gut wie möglich zusammenhält. Sie hat Heinz bei sich aufgenommen, als seine Frau gestorben ist, schmückt deren Grab zu Allerheiligen und bereitet für Heinz Sprays mit Kakao- oder Suppengeschmack zu, die er sich in den Mund sprühen kann. Für Maria hegt sie mütterliche Gefühle und versucht sie so gut wie möglich zu entlasten. Für ihren Mann Alfred, den sie „Papa“ nennt, kocht sie nach wie vor seine Lieblingsspeise Kartoffelpuffer, auch wenn er sich weigert, diese zu essen. Sie wäscht ihn in der Badewanne, wenn er sich in die Hose gemacht hat und natürlich auch, bevor der Arzt kommt. In der Nacht sperrt sie ihn in eine Kammer am Dachboden, damit er nicht im Haus herumirrt und sich verletzt.

Die gut gemeinte Hilfe

Für Daniel sind diese Zustände und Arrangements kaum zu ertragen: „Wie hält Klara das aus, jeden Tag? Wie kann das überhaupt jemand aushalten?“ (S.55) Wie ein schlechter Unternehmensberater beginnt er sich überall einzumischen. Wärmer sollte es seiner Meinung nach im Haus sein, er selbst schafft es allerdings nicht, den Holzofen einzuheizen. Beim Waschen von Alfred bietet er großzügig seine Hilfe ein, doch beim Anblick und Geruch des Kots muss er sich übergeben. Er kritisiert die Arbeit des Hausarztes, möchte einen Badelift einbauen und professionelle Hilfe ins Haus kommen lassen.
„Ich will einfach“, erklärt er Maria, „dass es nicht so abläuft wie bei Opa Kobicek. Ich will, dass man sich um sie kümmert, dass sie gut versorgt sind und zu Hause bleiben können. Und wenn sie es von selbst nicht verstehen, brauchen sie vielleicht einen kleinen Anstoß.“ (S.150)
Maria ist prinzipiell dafür, den Alten ihren eigenen Weg zu lassen, doch die Tatsache, dass Alfred jede Nacht in seiner Dachkammer eingesperrt ist, gefällt ihr genauso wenig wie Daniel.
„Ich glaube nicht, dass es der Stand der modernen Medizin ist, Demenzkranke in eine Gummizelle zu sperren. Und genau das ist Alfreds Zimmer ja: eine Gummizelle. Eine möblierte Gummizelle vielleicht, aber das macht es nicht besser. Man kann nicht einen erwachsenen Menschen in ein Zimmer sperren und schreien lassen, bis er vor Erschöpfung einschläft.“ (S. 108).
So kaufen Daniel und Maria ein Babyphon und installieren es in Alfreds Schlafkammer, damit die Tür offen bleiben kann. Dies führt allerdings nicht dazu, dass Daniel in der Nacht ruhig schlafen kann, vielmehr verschwindet Alfred leise aus der Kammer. Daniel findet ihn schließlich mit einer leichten Verletzung im Stall, wo er tatsächlich nicht nur „ja, genau“, sondern auch „Maria“, sagt.

Erinnerungen und Ängste

Nebenbei tauchen im Haus von Tante Klara für Daniel zahlreiche Kindheitserinnerungen auf, wie beispielsweise das Holzschwert „Nagelring“ oder die Playmobilburg, mit der er als Kind gespielt hat. Beim Ausräumen der Sauna stoßen Daniel und Maria auf alte Brettspiele und in der Tiefkühltruhe auf ein Eis mit dem Ablaufdatum 1998. Auf Marias Couch spielen sie die Computerspiele von damals und kommen sich näher.
Doch auch mit Kindheitsängsten ist Daniel konfrontiert: Da ist der Ekel vor dem Kompost, vor dem Gewicht toter Schnecken im Kübel und nicht zuletzt die Angst vor Spinnen, die ihm bis heute geblieben ist.
Der Ort, an dem sich Ängste und Konflikte schließlich erneut manifestieren, ist der Schweinestall:
„Er war unheimlich, ein Platz, an dem man das Blut förmlich riechen konnte. Manchmal habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und mich beim Versteckspielen hinter die Kartoffelsäcke gekauert, weil ich wusste, dass mich Maria dort nie suchen würde.“ (S. 34.)
Bei einem Stromausfall in der Nacht muss Daniel in den Schweinestall gehen und dort seine Spinnenangst überwinden. Dabei findet er nicht nur die verschwundene Autobatterie, sondern er findet schließlich auch heraus, warum Maria nicht in den Stall geht: Als Kind wurde sie von ihrem Vater Heinz jedes Mal, wenn er getrunken hatte, hier eingesperrt. Es war Alfred, der Maria gerettet und in der Nacht immer wieder aus dem Stall geholt hat.

Showdown im Schweinestall

In der folgenden Nacht entdeckt Klara Alfred und Heinz im Stall, Alfred liegt verletzt am Boden und das Tablet von Heinz ist zerbrochen, es ist unklar, was genau passiert ist. Daniel mischt sich nicht nur in die Arbeit der Sanitäter ein, sondern fährt Heinz später auch zu Alfred ins Krankenhaus:
„Du solltest dich entschuldigen“, sage ich zu Heinz.
Warum sollte ich?
„Du musst dich entschuldigen, für das, was du Maria angetan hast, und für letzte Nacht.“
Ich muss nichts, der alte Trottel versteht sowieso nichts mehr.
Alfred dreht den Kopf weg und jammert. „Ja genau, ja genau.“

Daniel gibt schließlich auf und kümmert sich stattdessen lieber um Maria. Während er sie tröstet, erschießt sich Heinz mit seinem Revolver – natürlich im Schweinestall.

Lachen und Weinen und offene Fragen

Das Schicksal seines Opas zu verhindern ist das zentrale Anliegen von Daniel:
„Opa Kobicek war am Ende im Heim. Er konnte sich nicht mehr dazu äußern, er war schon zu dement, eigentlich kaum mehr bei Bewusstsein, aber trotzdem, ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie es ihm dort ging. Und alle anderen haben es auch gesehen, aber niemand hat etwas unternommen, und dann haben sie ihn zum Sterben ins Krankenhaus gebracht. Obwohl er zu Hause auch hätte sterben können, mit der richtigen Pflege und gutem Willen.“
Doch wie geht das mit dem würdevollen Sterben? Wie funktioniert Autonomie im Alter? Wie kann man Alte, Kranke und Angehörige möglichst gut unterstützen? Es sind wichtige, höchst aktuelle Fragen, die in diesem Roman aufgeworfen werden. Fragen, zu denen der Arzt David Fuchs eine professionelle Meinung haben mag, Fragen, die uns der Autor David Fuchs aber – zum Glück – nicht beantwortet.
Die Art und Weise, wie der Protagonist Daniel Kobicek diese Fragen zu lösen versucht, kann zum Lachen genauso wie zum Weinen anregen. Auf jeden Fall ist sie entlarvend.

David Fuchs Leichte Böden
Roman.
Innsbruck, Wien: Haymon, 2020.
208 S.; geb.
ISBN 978-3-7099-3492-0.

Rezension vom 12.05.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.