#Prosa
#Debüt

Legenden und ein Söhnchen

Sebastian Vogt

// Rezension von Georg Renöckl

Ostwärts blicken derzeit Sport, Politik, Wirtschaft und Medien, allerdings oft mit gemischten Gefühlen. Zur Faszination für nach wie vor fremd und exotisch wirkende Länder kommt häufig Entrüstung über die Rücksichtslosigkeit, mit der dort mancherorts Menschen, Natur und kulturelles Erbe behandelt werden. Der imaginäre Osten, aus dem die meisten der vierzehn kurzen Geschichten in Sebastian Vogts Erzähldebüt Legenden und ein Söhnchen stammen, liegt nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich in weiter Ferne. Es sind Geschichten von Kaisern und Khanen, aus sagenhaften Städten und endlosen Steppen. Weniger brutal als die Realität des aktuellen fernen Ostens sind sie nicht.

Er erzähle keineswegs bekannte Legenden aus China, Zentralasien oder Indien nach, berichtet der Autor auf Anfrage, ein erster Satz sei ihm schon vor längerem eingefallen, der Rest habe sich dann daraus entwickelt. „Nicht einmal die mit dem Hofe ältest vertrauten Beamten hätten anzugeben vermocht, warum der Erste der Schriftgelehrten, Chen Wei Yang, beim Kaiser in Ungnade gefallen war, der ihn von seiner Palastwache festnehmen ließ, um ihn an den Wasserstock zu binden.“ So lautet dieser erste Satz. Er schlägt einen Ton an, der allen Geschichten gemeinsam ist. Es geht darin um Herrschen und Beherrscht-Werden, vor allem aber darum, was passiert, wenn jemand aus einem starren Gesellschaftssystem ausschert. Aufmüpfige oder einfach selbstbewusste Untertanen treffen auf Despoten, die nicht den geringsten Widerspruch dulden, sanfte Herrscher auf Untergebene, die jedes Zeichen von Schwäche zur Revolte nützen.

Wer von der Norm abweicht, den trifft in Sebastian Vogts Geschichten eine grausame Strafe. Der willkürlich gefolterte Schriftgelehrte Chen Wei Yang etwa wird nur deshalb getötet, weil er den Grund für seine Bestrafung erfahren will. Eine verleumdete Wäscherin, die sich für ihre Verurteilung zu Verbannung und sexueller Sklaverei rächen will, stirbt, bevor sie ihre Pläne in die Tat umsetzen kann. Reisbauern, die sich wehren, als ihr Land zum Bau eines Tempels beschlagnahmt wird, werden niedergemetzelt. Selbst treue Pflichterfüllung kann tödlich sein, wenn einem Herrscher danach ist. Ein Offizier, der das Bild des Kaisers befehlsgemäß unter Einsatz seines Lebens aus einer angegriffenen Grenzstadt rettet, wird nach seinem strapaziösen Ritt in die Hauptstadt auf kaiserlichen Befehl hingerichtet, da er nicht bei der Verteidigung der Stadt gefallen ist.

Auch die Herrschenden sind in einem Wertesystem gefangen, das keine individuelle Freiheit kennt, sondern einzig und allein auf dem Recht des Stärkeren bzw. Härteren beruht. Ein friedlicher Khan, der Pferde liebt und sich gern unters Volk mischt, wird gestürzt und gehenkt, als eine Liaison seiner Frau mit einem Knecht bekannt wird. Sein Nachfolger köpft das illegitime Liebespaar eigenhändig. Einem homosexuellen Kaiser, der das Theater verehrt und sich selbst eine Rolle schreibt, in der er einen schönen Schauspieler auf der Bühne küsst, wird der dadurch ausgelöste Skandal zum Verhängnis.
Geschichten wie diese schlagen Brücken zur Gegenwart: Die verschmähte Frau des Kaisers sorgt gemeinsam mit einigen machtgierigen Fürsten dafür, dass ein antiker Paparazzo mit seinem Zeichengerät in einem Kirschbaum sitzt, als es zum verhängnisvollen Kuss kommt. Der gezeichnete „Schnappschuss“ wird so schnell wie möglich vervielfältigt und in alle Provinzen des Reichs geschickt. Intrigen und Gerüchte sind entscheidende Machtfaktoren, in Sebastian Vogts Legenden wie in der heutigen Realität.

Altertum und Gegenwart mischen sich auch in der Sprache der neu gedichteten Legenden aus vergangenen Zeiten und Ländern. „Dann aber zog sie ihn fort in ihr Gemach, denn das Lager wollte sie mit ihm teilen, damit sich alles zwischen ihnen richtig erfülle“ – das klingt fast wie eine Passage aus dem Alten Testament, während sich wenige Seiten weiter die Kunden der Bagdader „Hürchen“ ganz modern und schlicht „nicht über mangelnde Diskretion“ beklagen. Drakonische Strafen „währen“ in Vogts Erzählungen mitunter „mehrere Monde“, dann wieder werden in nüchternem Gegenwartsdeutsch „Existenzen aufgebaut“ oder „Ausbildungen absolviert“. Eine etwas eigentümliche, pompös klingende Kunstsprache entsteht auf diese Weise und gibt den Geschichten einen altehrwürdigen Anstrich, unter dem doch immer wieder das aktuelle Sprachmaterial hervorblitzt.

Diese Art der Patinierung wird nicht jedermanns Sache sein. Respekt verdient auf jeden Fall Sebastian Vogts Fähigkeit, seine versunkenen oder erdachten Welten innerhalb weniger Zeilen entstehen zu lassen und darin gehörig Spannung aufzubauen. Gelegentlich würde man seinen vierzehn modern-altertümlichen Legenden voll menschenverachtender Härte allerdings das eine oder andere tapfere Schneiderlein wünschen, das die ehernen Gesetze, die darin herrschen, durchbricht. Doch hätte es wohl das erste Zusammentreffen mit einem Riesen nicht überlebt.

Sebastian Vogt Legenden und ein Söhnchen
Erzählungen aus fernen Landen.
Salzburg, Wien: Otto Müller, 2008.
124 S.; geb.
ISBN 978-3-7013-1141-5.

Rezension vom 14.04.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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