#Roman

Lebenslänglich

Britta Mühlbauer

// Rezension von Barbara Angelberger

Inga Götth passt nicht einmal in einen Hosenanzug Größe 42!!! Er ist ihr zu ENG, was bereits Schlimmes befürchten lässt. Und tatsächlich kommt’s noch dicker. Ihr Lebensgefährte, mit dem sie 14 Jahre zusammen war, sitzt nicht – wie angekündigt – im Pädagogikseminar, sondern mit seiner blutjungen Freundin in einem Wiener Studentenlokal. Erfahren muss Inga das von ihren Stiefkindern. Deren Grund für ihre Offenheit: Mitleid.

Die Einleitung macht bereits deutlich. Inga ist kein Siegertyp, weder fit noch energisch oder durchsetzungsstark. Um zumindest Ersteres zu werden, begibt sich die praktische Ärztin ins nahe gelegene Thermenzentrum Purggau. Wer dabei an die (real existierende) steirische Thermenregion Burgau denkt, liegt vielleicht auch nicht ganz falsch.
Am selben Tag wie Inga trifft auch eine Mure in der Therme ein. Der Erdrutsch zerstört die Wellness-Anlage. Inga findet sich mit anderen Gästen und Thermen-MitarbeiterInnen in einer Art Zeitschleife wieder, in der sich der Unglückstag (bis zum Zeitpunkt der Katastrophe) ständig wiederholt: Die Katastrophe selbst spiegelt sich lediglich in den Träumen der Opfer wider.

Ähnlich wie bei Big Brother oder anderen Fernsehformaten können die LeserInnen nun einer Handvoll Menschen in einem abgeschlossenen Setting beim Leben zusehen. Dass das Personeninventar nach Typen „gecastet“ ist, wird relativ schnell klar. Es treten auf: der einfache Mann aus dem Volk – gut; der örtliche Baumeister – schlitzohrig-kumpelhaft; die Managerin der Anlage – tough, aber einsam; ein Body-builder – tumb-aggressiv; eine alternde Diva – spitzzüngig, usw.
Die Personen werden in schneller Abfolge eingeführt, sodass man sich beim Lesen gelegentlich wie auf einer Party fühlt, bei der man sich in kurzer Zeit die Namen zahlloser Leute merken muss.
„Rechts von Inga […]saß ein Mann mit zwei jungen Frauen, die in Bademänteln froren. Suie Tschopp und Ruth Kolar warteten auf den nächsten Fototermin. Der Fotograf hatte sie angewiesen, sich in der Lounge bereit zu halten. Er werde sie am Handy anrufen, wenn alles fertig sei. Eigentlich war Suie Tschopp Malerin, Ruth Kolar Schauspielerin.
Stepan Marz erzählte ihnen, dass er ein Bild von Suie Tschopp besitze. Er saß neben ihr auf dem Sofa, den linken Arm auf der Rückenlehne ausgestreckt, die weißen Hemdsärmel hochgekrempelt, einen weinroten Pulli über die Schultern gelegt. Er war Mitte vierzig, untersetzt, hatte kleine, feiste Hände und das Gesicht eines Landjunkers.“(S. 29)

Wer sich an der seltsamen Namensgebung stößt, dem sei ein Blick auf Speisekarten oder in Kochbücher empfohlen: Chop suey, Rucola, Marzipan usw. Im Buch tummeln sich allerdings auch diverse Käse (Edamer – Eduard Dammer; Parmesan – Ezan Parm; Mozarella – Elli Mozar,…) und alkoholische Getränke (das Ehepaar Armand und Connie Jahg – Armagnac und Cognac, Evelyn Velt – Veltliner). Grundsätzlich lässt sich sagen: Alles was Name ist, spricht.
In der Figur des Dr. Monst wird das besonders deutlich. Der skrupellose, karrieristische Mediziner ist das Komplementär zur verantwortungsvollen, (menschen)freundlichen Inga, die Monsts Gesundheitsterrorismus und seinem Credo „Gesundheit ist machbar, wer krank ist, ist selbst daran schuld“ kritisch gegenübersteht. Doch nicht nur selbst ernannte Medizin-Koryphäen bekommen ihr Fett ab, auch der Psychosprech dubioser Mental-Coaches wird als Anhäufung von Plattitüden entlarvt: „Du fühlst dich durch deine Lebensumstände erdrückt. Du nimmst die Dinge zu persönlich. Daran müssen wir arbeiten. Alles hat eine helle und eine dunkle Seite. Du siehst nur die dunkle. Das werden wir ändern.“(S. 86)
Bewegung ins Sozialgefüge bringt die Ankunft eines Ernährungsberaters. Der bekennende Hedonist raucht, trinkt und negiert alles, woran die Fitness-AnhängerInnen glauben. Die Thermengäste wissen nicht mehr, welcher Ideologie sie sich anschließen sollen. Die Situation beginnt für einige sehr unangenehm zu werden; sehr, sehr unangenehm…

Britta Mühlbauer legt einen durchwegs unterhaltsamen Erstling vor. Gar zu lustig-skurril wird’s nur, wenn sie einen 200 Jahre alten Bischof – Kaban Oswald (Kabanossi?) – auftreten und sprechen lässt: „Gottlose Kreaturen seyd ihr!“, rief er schließlich. „Unziemlich gekleydet Manns- wie Weibs-Personen, wo doch in der Bibel geschrieben stehet: Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an.[…]“(S. 249).
Mühlbauer nimmt sich mit dem Bereich Wellness/Anti-Aging/Tod eines interessanten Themas an und hält den Spannungsbogen – man will wirklich wissen, wie die Autorin die Zeitschleifenkonstruktion auflöst, welche Paare sich finden usw. Und dennoch bleibt nach dem Lesen ein schales Gefühl. Man hat alles relativ billig bekommen: die Guten sind gut, die Bösen bös – da braucht man nicht lange zu überlegen, an wessen Lebensanschauung man sich halten sollte. Man darf als LeserIn ruhig mehr gefordert werden.

Britta Mühlbauer Lebenslänglich
Roman.
Wien: Deuticke, 2008.
413 S.; geb.
ISBN 978-3-552-06089-0.

Rezension vom 10.02.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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