#Roman

Leben Spielen

Jan Kossdorff

// Rezension von Emily Walton

Unzufrieden mit dem Job? Manchmal muss man lediglich die Perspektive – die Herangehensweise – ändern, um die Tätigkeit, die man ausübt, wieder lieben zu lernen. Schauspieler Mischa aber entscheidet sich für eine radikale Variante. Er gibt seinen Schauspielerberuf gleich ganz auf, als dieser ihm zu einer großen Belastung wird: Stattdessen sucht er sich einen „normalen“ Bürojob als Anzeigenverkäufer. Und anstatt mit Schauspielerkolleginnen zu flirten, sucht er sich eine geerdete Freundin: die nette Valerie, die in einer Blumenhandlung arbeitet.

Es hilft. Das Leben fühlt sich für ihn zunächst besser an: Fort ist der tägliche Druck, sich in Castings behaupten und gefallen zu müssen. Fort ist die Sorge, wann und ob denn ein nächster Auftrag kommen wird.
So einfach ist es allerdings nicht, alles, worauf man bislang hingearbeitet, wofür man bislang gekämpft hat zu verdrängen. Das fällt Mischa schon bei den ersten Dates auf: Er hat sich neu erfunden – und das bedeutet, dass er keine Vergangenheit hat, zumindest keine, die er als „neuer“ Mischa preisgeben will. Zu denen, die seine Vergangenheit kennen, seinen früheren Kollegen also, bricht er weitgehend den Kontakt ab.
Als er aber eines Tages plötzlich erfährt, dass sein Schauspiellehrer verstorben ist, kann er nicht umhin, zur Trauerfeier zu gehen. Dort – umgeben von Schauspielern und viel Alkohol – wird ihm bewusst, dass es nicht so einfach ist, für immer von der Bühne zu gehen. Das Schauspielen hat ihn nicht glücklich gemacht. Aber das neue Leben macht ihn nicht glücklicher.
Während dieser Zeit nimmt er wieder Kontakt zu seinem Kollegen Sebastian auf. Dieser ist im Bühnengeschäft geblieben und stellt sich dem täglichen Kampf. Auch er sucht einen Ausweg und findet diesen in einem außergewöhnlichen Geschäftsmodell: Er bietet sich als Schauspieler für Privatpersonen an, will für sie Situationen aus ihrer Vergangenheit oder auch aus ihrer Phantasie nachspielen. Ausgerechnet Mischas Freundin Valerie ist es, die einen der ersten Aufträge für Sebastian an Land zieht. Ein gut betuchter Austro-Amerikaner sieht in ihr seine frühere Jugendliebe Poldi, die er durch seine Emigration nach Amerika im zweiten Weltkrieg verloren hatte.
Bald werden die Freunde zu einer gut funktionierenden Schauspieltruppe, für die kein Auftrag und kein Abenteuer zu groß sind: In Wien stellen sie die berühmte Pariser Buchhandlung Shakespeare & Company nach, in Thailand lassen sie sich auf eine James-Bond-Darstellung ein.

In seinem neuen Roman entführt Autor Jan Kossdorff (Sunnyboys 2009, Spam! 2010, Kauft Leute 2013 – alle Milena Verlag) mit dieser durchaus originellen Handlung in die (Gedanken-)Welt der Schauspieler. Die pointierte und zugleich humorvolle Sprache macht den Text temporeich, durch die häufigen Szenenwechsel kommen keine Längen auf. Alle paar Seiten finden sich die LeserInnen – wie die SchauspielerInnen selbst – vor einer neuen Kulisse, auf einer anderen Bühne wieder. Vor allem die Wiener Szenen (Wien ist der Hauptschauplatz) bestechen mit viel Lokalkolorit. Kossdorffs Figuren sind sympathisch, trotz oder gerade wegen ihrer Orientierungslosigkeit. Am Ende dieses kurzweiligen Lesevergnügens – bei einem etwas kitschigen Schluss angelangt – hat man das Gefühl, dass Mischa, Sebastian und Valerie zu guten Freunden geworden sind.

Jan Kossdorff Leben Spielen
Roman.
Wien: Deuticke, 2016.
384 S.; geb.
ISBN 978-3552063129.

Rezension vom 07.03.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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