#Lyrik

landpartiestorno

Sonja Harter

// Rezension von Lydia Haider

„freude am substantiv / und nächtens die schatten / der rezensenten / / an den wänden ihr ausgeleierter / wunsch nach adjektiven (…)“ (98). So lautet der Anfang eines Gedichts im Kapitel burnout literaturbetrieb, das den Produktionsprozess des Textes sowie die Kritik daran reflektiert. Doch das Gedicht selbst löst den Wunsch der Rezensenten nicht ein, denn der gesamte Text weist so gut wie kein Adjektiv auf – außer dem Schlusssatz, der jedoch ein Satz ist, den die genannten Rezensenten verfasst haben und auf „postkarten / an die dichter“ richten: „verkopft / verschissen / kein reim“.

Indem diese unprofessionelle, fast dilettantische, aber dennoch so ironische Bewertung den Rezensenten in den Mund gelegt wird, lässt sie deren Kritik ins Leere laufen. In der Selbstbeschreibung des Textes, doch aus Sicht der Adjektive wünschenden Rezensenten, zeigt sich die Unzulänglichkeit dieses Wertesystems und seiner oft seltsamen Parameter, die den Schaffenden ihre Freude nehmen, wie es – zwar ironisch aber dennoch – heißt. Darüber hinaus macht der Text seine eigene Bauweise, die er teilweise auch in dieser Wertung beschreibt – wie etwa reimlos zu sein – unantastbar: Eine Strategie, wie sie machtvoller nicht sein könnte.

Der Titel der Buches – landpartiestorno – ist dem ersten Gedicht des Bandes entnommen und versteht sich als Kontrast zur ewig gleichen und abgenutzten Naturschwärmerei: Die (unangenehme) Lautstärke in der Natur ist das zentrale Motiv darin, „wiesenkomplott, pilzbulimie“ sind sogar nur Nebenreaktionen. Es ist ein „fortissimo im erholungsgebiet“, dem jedoch nicht zu entkommen ist, da es „das rückgrat / – polyfraktur – verbietet“ (7). Gewohnte Kategorien werden dabei umgekehrt: Der Figur im Text wird ein gebrochenes Rückgrat attestiert, was sie zum Bleiben in der Natur zwingt. Denn wäre es intakt, wie der Textkosmos vorgibt, würde sie die Natur fliehen müssen/können.

Hinsichtlich Orthographie und Typographie sind die Texte einer konsequenten Kleinschreibung verpflichtet. Die Interpunktion ist sparsam vorhanden, sehr bedacht eingesetzte Rufzeichen oder Klammern ergeben ein einheitliches Schriftbild.
Die einzelnen Gedichte weisen keine Titel auf, der Gesamtband ist jedoch in sechs Kapitel geteilt, die jeweils Titel tragen.
Das Kapitel cis moll feat. béla tarr ist – so wie auch die Filme des genannten Regisseurs – von „langen Einstellungen“ geprägt, im Sinne von „weniger erzählend, mehr stimmungsgeladen“. Diese Stimmungen ziehen ihr Potential aus pointierten Beschreibungen von Szenen im Außen, ohne dabei eine sprechende Figur zu leugnen. Im folgenden Text zeigt sich dies besonders deutlich: „ausgerechnet die hotelbar / führt keine schallplatten. / hinter einer wand aus / nikotin und verzweifelten / jungfrauen, die ihren / cosmopolitan fallen lassen, / sobald keiner hinsieht.“ (27)
Obwohl der Text unmittelbar einen Bezug zur Musik herstellt – wie auch der Kapiteltitel und ein Großteil der Texte in diesem inhaltlich mit Musik zu tun haben – sind hier dennoch keine lyrischen Klangfiguren wie Reim oder Alliteration zu finden, auch nicht onomatopoetische Effekte oder anderes Mögliches in diesem Zusammenhang. So schaffen diese Texte (nicht nur, aber vordergründig) szenische Stimmungen – obwohl dieser Begriff vielleicht zu vage dafür ist: Es geht weniger um das konkrete Geschehnis, sondern um die Sphäre, die das Geschehen rund um die Figur(en) zu erzeugen vermag. Und trotzdem thematisiert es – gerade im oben zitierten Text – (sozial)kritisch und scharfsinnig die Gesellschaft. Der Text „und immer dieselbe frage“ (21), der als Leseprobe verfügbar ist, kann dazu ebenfalls als Beispiel genannt werden.

Im Kapitel muttermund, verstrichen nähern sich die Texte auf mannigfalte Weise dem Thema Elternschaft, dem Leben mit Kindern und dessen Rahmenbedingungen sowie auch gegebenen Verbindungen zur Kunst, wie im folgenden Gedicht: „kürzlich entfiel mir das französische / wort für: gedicht. / der müll musste längst runter / und die kinder schrien ohne unterlass / nach schokolade als vorspeise. / / angenommen, ich hätte es / auf anhieb gewusst: poème. / / hätte sich der müll entmaterialisiert / und wüssten die kinder, dass / die dämmerung kein moment ist, / um nach ausnahmen zu fragen?“ (87)
Der Alltag und damit einhergehende Existenzängste – wie eine „löchrige adoleszenz“ (73) – stehen ebenso im Zentrum. Das Leben mit Kindern wird als „razzia zwischen zwei lebensabschnitten“ bezeichnet, wo eine tatsächliche Fahrscheinkontrolle befürchtet wird, doch kein Fahrschein gekauft wurde, da das Kindergeld noch nicht ausbezahlt ist.

Fiktionale Elemente wie jenes im Text „der regen verliert seine strahlkraft“ (66), der in der Leseprobe verfügbar ist, sind eher seltener, wirken dafür aber umso stärker in dieser Vereinzelung. Der angezündete Vorhang scheint in diesem Gedicht nur eine Nebensache in einer erneut der Handlung vorgezogenen Stimmung zu sein – woraus der Text seinen Reiz zieht.
Metrisch völlig ungebunden und frei gehalten ist auch dieser Text, so wie alle anderen des Bandes, sie treten damit in sich geschlossen auf. Diese formale Freiheit ist ein wesentliches Charakteristikum der Gedichte. Es verleiht ihnen etwas Gesprochenes, sie wirken dadurch erzählend. Es macht sie – aber niemals übertrieben – ungezwungen.
Allgemein liegt die Besonderheit der Texte in einer feinen Lässigkeit. Tiefe wird erreicht, aber ohne Schwulst und Ausschweifung, Stimmungen werden gezeichnet, ohne ermüdend zu sein, und stets hat es etwas Zwangloses, ganz exakt eingesetztes Wildes, das über den Dingen steht, als würde der/die hier Sprechende beziehungsweise das lyrische Ich – so es denn ein solches überhaupt gibt – mokant grinsen, sich und die Lesenden dabei wiederholt in Frage stellend, wie in diesem Text: „das tappen im halbdunkel / des leeren zimmers. / / nur nicht anstoßen / an den kommenden jahren.“ (79)

Sonja Harter landpartiestorno
gedichte.
Graz: edition keiper (keiper lyrik 12 ), 2015.
96 S.; brosch.
ISBN 978-3-902901-77-4.

Rezension vom 30.09.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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