#Roman

Längst nicht mehr koscher

Claudia Erdheim

// Rezension von Eva Magin-Pelich

Die Geschichte einer Familie.

Claudia Erdheims neuestes Buch Längst nicht mehr koscher ist ein Abriss der Geschichte ihrer Familie über einen Zeitraum von grob hundert Jahren: Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts.

Die Erdheims stammen aus dem galizischen Boryslaw. Moses Hersch war als Erdölschachtbesitzer kein armer Mann. Mit seiner Frau Esther – sie zählten zu den sogenannten aufgeklärten deutschsprachigen Juden – hatte er fünf Söhne. Sie und deren Kinder sind die Hauptprotagonisten der Familiengeschichte, die auch als historischer Roman gelesen werden kann. Ein Teil der Söhne geht nach Wien, ein anderer bleibt in Polen.

Sie achten das Judentum als Religion, auch wenn sie selbst nicht religiös leben, gehen in der christlichen Gesellschaft ihre Wege als Akademiker oder Kaufleute, heiraten außerhalb der jüdischen Gemeinschaft oder leben ohne Trauschein: Die Erdheims sind ein Mikrokosmos der Familien auf der Welt, es geht bei ihnen zu wie überall. Manches des in der Familie Gelernten behält man bei, anderes lässt man bleiben, die Berufe und Arbeitsmöglichkeiten lassen die Entfernungen zwischen den einzelnen Mitgliedern größer werden. Dieses so ganz normale und im Grunde unspektakuläre Leben erfährt mit dem Holocaust einen brutalen Einschnitt, der durch sein langsames Einschleichen vielleicht um so schlimmer ist.

Wer diese Geschichte liest, versteht, dass die Autorin nach Abstand suchte, um sich nicht in den Schicksalen zu verlieren, die sie als Angehörige ja ganz besonders betreffen. Dies trifft speziell für die Periode des Dritten Reiches zu, das einen Großteil des Buches ausmacht. Claudia Erdheim wählte einen grammatikalischen Weg der Distanz: Sie schrieb die „Geschichte einer Familie“, wie sie das Buch im Untertitel nennt, im Präsens. Damit kann sie selbst Abstand halten, es wirkt fast nüchtern, auch wenn man spürt, dass da mehr ist als der sachliche Bericht, der zwei Monate vor Erdheims Geburt endet, und in dem sie ihren eigenen Verwandtschaftsgrad mit den Protagonisten auch nicht ein einziges Mal – weder zwischen den Zeilen noch offen – erwähnt.

Gleichzeitig aber zwingt sie den Leser mit dem Tempus der Gegenwart in eine angespannte Lesehaltung, verhindert die Identifikation mit einzelnen Charakteren und fordert immer wieder Lesepausen ein. Die Geschichte im Buch wird nicht im klassischen Sinn erzählt, es findet keine entspannte Lektüre statt. Und das ist richtig so. Denn es ist, auch wenn oben ein historischer Roman angedeutet wurde, weder Roman noch Sachbuch im üblichen Sinn, es ist eher ein Mix aus beidem: Erdheim erzählt, es gibt Dialoge, sie lässt aber auch viele Lücken, springt von einem der Protagonisten übergangslos zum anderen, ergänzt nach einem Abschnitts- oder Kapitelende mit historischem Faktenwissen.

Längst nicht mehr koscher als Bild einer Familie bewahrt Menschen vor dem Vergessen, ist aber sicherlich auch eine Auseinandersetzung der Autorin mit ihrer Familie, insbesondere mit der Mutter. Ohne Küchenpsychologie betreiben zu wollen spürt man zwischen den Zeilen, dass das Verhältnis zu Tea bestimmt nicht einfach war.

Der Titel des Buches weist eigentlich auf die Lebensweise der Erdheims hin, leider kann man ihn aber auch auf das nicht stattgefundene Korrektorat anwenden. Die Fehler treten in so großer Zahl auf, dass dies wirklich nicht mehr koscher ist. Weder die alte noch die neue Rechtschreibung wird konsequent angewandt.
Da es sich schon von der Sache her um kein einfaches Buch handelt, das dem Leser Konzentration abverlangt, sind die Fehler kein rein ästhetisches Problem, sondern lenken schlicht vom Text ab. Das ist schade und hätte vermieden werden können.

Claudia Erdheim Längst nicht mehr koscher
Roman.
Wien: Czernin, 2006.
417 S.; geb.
ISBN 3-7076-028-7.

Rezension vom 27.11.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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