#Roman

La Laguna

Erika Kronabitter

// Rezension von Marcus Neuert

Die Schriftstellerin Erika Kronabitter hat mit La Laguna einen Roman vorgelegt, der laut Klappentext von ihrem eigenen Lebenslauf inspiriert worden ist. Autobiografische Erzählliteratur erliegt nicht selten dem Moment der Verklärung oder der Verdammung der Geschehnisse, so sehr AutorInnen dies auch immer wieder in ehrlicher Aufarbeitung zu relativieren versuchen. Diese Klippen hat Erika Kronabitter mit ihrem jüngst im Wiener Wortreich-Verlag erschienenen Buch souverän umschifft: sie versteht es, die notwendige Distanz zu den Ereignissen herzustellen, die sie selbst betreffen, und dennoch eine empathische Beziehung zu ihrem Personal aufzubauen und zu vermitteln.

 

Erzählt wird die Geschichte einer gescheiterten Liebe, der Engherzigkeit der Nachkriegsgesellschaft, ihrer Doppelmoral und der Konsequenzen, die sich für alle Beteiligten noch Jahrzehnte später daraus ergeben. Die junge Hanna, zweitältestes von sechs Kindern, entflieht der Provinzialität ihres Herkunftsdorfes in der Wachau, um im mondänen Wien des Jahres 1958 ihr Glück zu machen. Sie verliebt sich Hals über Kopf in Beppo, der ihr verschweigt, dass er bereits in Graz verheiratet ist.
Als Hanna mit Elena schwanger wird, nimmt das Unheil seinen Lauf. Beppo scheitert beruflich und seine Frau, im Buch stets “Die Andere” genannt, rächt sich an ihm und nimmt ihn finanziell nach Strich und Faden aus. 1964 bricht die kleine Familie endgültig auseinander. Beppo bleibt eine von Schulden getriebene Existenz, beharrt aber auf seiner relativen Freiheit und schlägt in der Folge sogar das Angebot des alten Grafen Kövary aus, ihn zu pflegen und im Gegenzug Schloßherr zu werden.
Hanna verheiratet sich wieder, mehr aus Konvention als aus Liebe. Elena wächst ohne den Vater heran, macht ihren Weg und wird Meeresbiologin, ohne die vielen offenen Fragen um das gescheiterte Familienglück wirklich klären zu können. Doch gibt es über die Jahre immer wieder einmal Kontakt zu Beppo. Schließlich erreicht Elena die Nachricht von dessen mysteriösem Tod auf Teneriffa, wo er eine Zeit lang bei seinem Freund Larek, dem Adoptivsohn des Grafen Kövary, gelebt hat.
Aber es dauert noch elf weitere Jahre, bevor der innere Druck so hoch wird, dass Elena der merkwürdigen Geschichte nachzugehen beginnt. Hier kommt neben der familiären Aufarbeitung noch eine kriminalistische Handlungsebene mit ins Spiel, deren Ende zu schildern ein Verrat an der Leserschaft wäre. Nur so viel: die Auflösung erfolgt buchstäblich erst auf der vorletzten Seite. Der Schlusssatz ist eine lakonische Feststellung Elenas im Rückblick: “Überblick erhält, wer Abstand gewinnt.” (S.227). Die Erkenntnis, vom Vater verlassen worden zu sein, muss sie auch in die Zukunft mitnehmen.

Erika Kronabitter schafft es geschickt, ihr Publikum auf dem schmalen Grat des Hin- und Hergerissenseins balancieren zu lassen: weder die (flug-)angstbesetzte, aber letztlich doch investigative Elena, ihre zuerst liebevolle, dann aber hart und verschlossen gewordene Mutter Hanna noch der liebenswerte Pechvogel Beppo sind Gestalten, die allzu leicht einzusortieren wären, mit denen wir uns beim Lesen hundertprozentig eins fühlen; und doch stehen wir nicht neben dem Geschehen, sondern im Gegenteil mittendrin. Kronabitter liebt ihre HandlungsträgerInnen, lebt in ihnen beim Schreiben, anders gelingt so etwas nicht.
Die formale Anlage des Romans folgt dem Häppchen-für-Häppchen-Prinzip. In mehreren Zeitebenen zwischen den späten fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und heute wird aus einer auktorialen Sicht heraus die Handlung entwickelt, durchzogen von Passagen, in denen wechselnd aus den Positionen von Elena, Hanna und Beppo berichtet wird. Die Kapitel des Buches sind jeweils zeit-, orts- und/oder personenbezogen überschrieben, was die Orientierung erleichtert. So setzt sich ein erzählerisches Puzzle zusammen, das durch genaue Detailbeschreibungen und Innenschauen einerseits und die Handlung vorantreibende Dialoge andererseits die Ebenen miteinander verknüpft und inhaltlich wie formal Spannung aufzubauen versteht.
Aus der Gegenwartsperspektive spricht nur Elena zur Leserschaft. Ihre knappen und nachdenklichen Reflexionen haben alltagspsychologische Qualitäten, zum Beispiel über die Eltern: „Manche wissen nicht, wie das Beste geben funktioniert. Weil sie ihr eigenes Leben nicht in den Griff bekommen. Weil sie niemand darauf aufmerksam macht. Weil sie es selbst nicht anders erlebt haben. Oder weil sie noch nie wirklich darüber nachgedacht haben.“ (S.77).

Elenas Angst vor dem Fliegen wird durch die sukzessive Beleuchtung eines der schwersten Unglücksfälle der zivilen Luftfahrt flankiert, der sich ausgerechnet 1977 in Teneriffa ereignete und fast sechshundert Menschen das Leben kostete. Die Verkettung der verhängnisvollen Umstände versinnbildlicht für die erzählte Geschichte nicht zuletzt, wie ein Ereignis zum nächsten kommt und sich dadurch schicksalhafte Entwicklungen ergeben, in denen nichts mehr planbar erscheint. Genau dies müssen alle handelnden Personen dieses Romans immer wieder erleben und dabei Entscheidungen treffen, die wiederum für sie selbst und andere unabsehbare Konsequenzen haben.
In Erika Kronabitters La Laguna gehen Stoff und Form eine überzeugende Verbindung ein, die die Leserschaft bis zur letzten Seite zu fesseln versteht. Das Buch mag autobiografische Details enthalten – eine literarisierte Nabelschau ist erfreulicherweise nicht daraus geworden.

Erika Kronabitter La Laguna
Roman.
Wien: Wortreich, 2016.
232 S.; geb.
ISBN 978-3-903091-00-9.

Rezension vom 05.09.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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