Das Parken – irgendwo in Wien – und das bewusste Auswählen und anschließende Ausfüllen von Parkscheinen ist der kleinste gemeinsame Nenner der zwölf Protagonistinnen in Sabine M. Grubers neuestem Buch. Auch die Zeit der Handlung ist ihnen gemeinsam: alle Geschichten spielen an einem ungewöhnlich heißen Tag Anfang Juni. Die Tatsache, dass es für die Jahreszeit viel zu heiß ist, kehrt leitmotivisch in allen Geschichten wieder und kann für ihre Heldinnen sehr erfreulich sein oder aber äußerst lästig werden. Ansonsten vereint die Frauen nur, dass sie Frauen sind – und Autofahrerinnen. Die Vielfalt der Figuren und Geschichten ist erstaunlich und kann als die größte Stärke des Erzählbandes gesehen werden; dicht gefolgt von einer konsequent durchgehaltenen Spannung, die so gut wie nie versiegt.
Ganz verschiedene, zum Teil auch typisch weibliche Probleme und Schwierigkeiten werden hier vorgeführt: eine durch weibliche List und Geschicklichkeit aufgeschobene Trennung; eine aus Standesdünkel verpasste Gelegenheit; das Problem der eigenen Unscheinbarkeit; ein spontaner One-Night oder besser: One-Day-Stand als wirksame Medizin gegen Liebeskummer; Kleider- oder Schuhkäufe als einziger Trost; Probleme mit (weiblichen) Vorgesetzten; Mutlosigkeit der Jugend; Chancenlosigkeit des Alters; überhaupt das Älterwerden; das Kreuz mit einer in allen Punkten überlegenen Freundin; das Leiden an der eigenen Talentlosigkeit; die Auseinandersetzung mit der eigenen Eitelkeit (als Künstlerin, Schriftstellerin …); der fehlende Mut für was auch immer. Die Frauen entstammen allen sozialen Schichten, wenn auch die bürgerliche, erkennbar etwa an den Besuchen von klassischen Konzerten, leicht überwiegt; genauso sind alle Altersklassen zwischen fünfzehn und sechsundsiebzig vertreten. Frauen, die in festen Beziehungen oder Ehen leben, sind darunter und ungebundene oder geschiedene, Frauen mit Kindern und solche ohne Nachwuchs.
Wenn auch viele der dargestellten Problembereiche dem Themenkreis Liebe und Partnerschaft entstammen, trifft dies doch nicht für alle zwölf Geschichten zu. Auch die eigene Machtlosigkeit gegenüber der Suchterkrankung eines Familienmitgliedes, der gescheiterte Versuch eines beruflichen Wiedereinstiegs nach (viel zu langer) „Babypause“, die Unmöglichkeit, seine künstlerischen Ambitionen zu verwirklichen oder das Gefühl, als Individuum nicht wahrgenommen zu werden sind Motive des Erzählzyklus. Erotisch im engeren Sinn ist eine einzige Geschichte (und die hat es in sich), eine romantisch-realistische Erinnerung an eine (zu) frühe Liebe bringt ein anderer Text; real existierende Beziehungen in der Gegenwart und erträumte in der Zukunft kommen hingegen mehrmals vor. Auffällig ist dabei, dass die „positiven“ Liebesgeschichten, also solche, in denen sich die Frauen stark fühlen und nicht beschämt oder enttäuscht werden, auch deutlich mehr überzeugen. Davon hätte es möglicherweise auch mehr geben können, denn Erfolg – und sei es nur ein gelesener – tut gut. Wie wusste es schon Musil: „was man erreicht, formt die Seele, während das, was man ohne Erfüllung will, sie nur verbiegt“. In allzu vielen Geschichten geht die Autorin äußerst grausam mit ihren unglückseligen weiblichen Existenzen um: Verlierer bleiben hier Verlierer. Dies ist erstens aus rezeptionsästhetischer Perspektive problematisch (wer will schon ein Malheur nach dem anderen lesen?), noch viel schlimmer ist aber, dass dadurch etliche längst überholt geglaubte Klischees über Frauen genährt werden: Charakterschwäche, Verzagtheit, Unfähigkeit selbstständig zu agieren bzw. ein Dasein als ewig bloß Reagierende, starke Selbstdefinition durch das eigene Erscheinungsbild und dessen aufwändige Pflege, Unfähigkeit gefällte Entscheidungen durchzuhalten, Neigung zum Tagtraum und Ähnliches mehr präsentieren sich hier als rein weibliche Eigenschaften, allen voran eine gewisse Tollpatschigkeit in allen Lebensbereichen. Ganz arg wird es aber bei der Frage des Alters: die Autorin gibt keiner Frau über Dreißig eine Chance, es sei denn, sie versteht sich perfekt auf alle Geheimnisse der Schönheitspflege und noch dazu auf die eine oder andere kleine List. Dass die 67jährige verwitwete Pensionistin da nur noch das Nachsehen hat, ist klar. Der bewusste Umgang mit den erotischen Ressourcen des eigenen Körpers ist gerade noch der knapp Zwanzigjährigen gegönnt – hier ist man versucht zu glauben, es gäbe überhaupt keine einsamen und ungeschickten jungen Mädchen und keine bestaussehenden, sexuell und sonst aktiven Seniorinnen.
Dieser Eindruck entsteht aber nur in der ersten Hälfte des Buches. Im weiteren Verlauf, wenn die Ereignisse und Erlebnisse sich auszudifferenzieren beginnen und Pech- und Glückssträhne wenigstens manchmal einander ablösen, wird erst klar, wie sehr diese Texte in der Realität verankert sind. Dabei zeigt die Autorin ein frappierend genaues Gefühl für Details und Momente aktuellster Gegenwart: das Handy (und das gespannte Warten auf Anrufe oder SMS), das Googeln, die Selbstverständlichkeit von Spitzenunterwäsche, das Moleskine-Notizbuch, ja selbst die Legasthenie, die auch ein Phänomen unserer Tage zu sein scheint. Im gleichen Maße, in dem „Kurzparkzone“ unglaublich zeitgenössisch ist, ist es auch ein Wien-Buch. Manche LeserInnen werden sich gelegentlich an Streeruwitz‘ „Verführungen“ erinnert fühlen, deren Heldin Helene übrigens auch eine aktive Autofahrerin ist. Dennoch nimmt sich diese im Vergleich zu manchen Gruberschen Figuren geradezu als das Musterbeispiel weiblicher Selbstbestimmung aus.
Im Ganzen überzeugen diese sehr unterschiedlichen Geschichten, die nicht einzeln beurteilt werden sollten, sondern nur als Teil eines Ganzen, durch ihr atemloses, von ständiger Spannung getriebenes Tempo und durch den äußerst genauen Blick in das Innenleben so unterschiedlicher Charaktere. Nur zwei Mängel fallen während der Lektüre auf: zum einen der exzessive Gebrauch des Unwortes „Sekundenbruchteil“ (genügt es nicht, von einem „Moment“ zu sprechen?), zum anderen der Epilog, mit dem manche (aber zum Glück nicht alle) Geschichten schließen. Diese nachträgliche „Erklärung der Ereignisse“ im Stil eines allwissenden Erzählers wirkt deplaziert. Viel stärker wirken jene Texte, in denen Gruber die Figur bis zum Schluss selbst sprechen lässt.