#Lyrik

Kühlschrankpoesie

Franz Josef Czernin

// Rezension von Karin Cerny

Bei Poesie, von einem Verlag angeboten, handelt es sich meist um ein fertiges Produkt. In die richtige Reihenfolge gebracht und schwarz auf weiß gedruckt, stehen sie da, die Sätze, Worte und Silben, unveränderlich in ihrer äußeren Form. Allein im Kopf des Lesenden, in seiner Wahrnehmung, seiner Interpretation öffnen sich die Texte in verschiedenste Richtungen. Kühlschrankpoesie, herausgegeben von Franz Josef Czernin, macht eine Ausnahme, handelt es sich doch um kein Buch im herkömmlichen Sinn, sondern um eine Art Baukasten: Poesie zum Selberbasteln. In einer Schachtel in der Form eines altmodischen Kühlschranks finden sich weiße Magnettafeln, die man ähnlich einer Schokolade erst selbst in Stücke brechen muß. Zerteilt ergibt das 480 Elemente, von ganzen Wörtern bis zu einzelnen Buchstaben.

Die kleinen magnetischen Täfelchen haften an jedem Kühlschrank, Heizkörper oder an sonstigen Metallteilen. Man kennt das von jenen Magneten, die für rein praktische Zwecke Verwendung finden, mit denen man Einkaufslisten festpinnen kann. Zwar wirbt auch der Sanssouci-Verlag mit diesen alltäglich-praktischen Seiten seiner Sprach-Pinner (NICHT VERGESSEN – MUTTERTAG!, MUSS FORT – GIESS BITTE DIE BLUMEN, EINKAUFEN), Franz Josef Czernin, der die Worte zusammengetragen hat, aber betont, so „praktisch“ seien die Magneten gar nicht. Ihm ist die dichterische Seite wichtiger. Und in der Tat, eine ordentliche Einkaufsliste bringt man mit der „Kühlschrankpoesie“ nicht zustande. Sehr wohl aber brauchbare Poesie, wie der „Falter“-Test bewiesen hat.

Czernins Kühlschrankpoesie sucht eine Verbindungen zwischen Poesie und Alltag sowohl durch seine außergewöhnliche Form, die spielerisch zur eigenen sprachlichen Betätigung animiert, als auch in der Wortwahl. Neben „Klassikern“, mit denen gut reimen ist, wie HERZ und SCHMERZ, tauchen auch Worte wie WÄSCHE, AUTO und SCHWANZ auf. Selbst Möglichkeiten des Selbstreferenziellen sind gegeben (POETISCH). Zuvorderst herrscht das Prinzip der (selbst gewählten) Beschränkung: Was kann ich aus dem gegebenen, sehr eingegrenzten Wortschatz kreieren. Die „Kühlschrankpoesie“ eignet sich als geistig anregende Beschäftigung mit Sprache, der man allein nachgehen kann, ebenso wie als unterhaltsames Spiel mit Freunden. SCHRANK AUF UND RAN AN DIE SPRACHE!

Franz Josef Czernin Kühlschrankpoesie
480 Wort- und Buchstabenmagnete.
Zürich: Sanssouci, 1998.
Schachtelformat.
ISBN 3-7254-1142-5.

Rezension vom 08.02.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.