Das scheint die Besinnung auf den Diskurs notwendig zu machen, der wieder danach fragt, was man, ganz dogmatisch, lesen soll – damit man eben nicht das konsumiert, was eine dubiose Ökonomie wünscht, die keinesfalls zimperlicher als die Kanonisierungen ist, die man so gerne als autoritär ablehnt.
Dieser Diskurs ist einer des Vatermords, denn Neues möge entstehen, begründet auf Lektüren, an deren Ende selbst das Maßgebliche eben von dem abweicht, was kommen solle. Man könnte auch von einem Kannibalismus sprechen, einer „Ordnung“, die „andere Bücher (verspeist), um [….] zu entstehen“ (S. 15), sei es als das je Neue, sei es als Idee der Kritik. Dem geht das Buch nach, und zwar motiv- wie ideengeschichtlich, etwa in der Herleitung dieser Idee u.a. von Nietzsche: Es sei das „Wesen alles Interpretierens“, so der Verfasser mit ihm, dass sie ein „Vergewaltigen, Zurechtschieben, Abkürzen, Weglassen, Ausstopfen, Ausdichten, Umfälschen“ (S. 21) ist. Das entwickelt sich mitunter zur theoretischen Akrobatik, bei der Foucault, Scholem, Benjamin und noch viele helfen, diesen Ansatz zu fundieren und zu rekalibrieren. Aber Schmitt-Maaß schreibt auch mit dem Ziel, etwas zu begründen, das es vielleicht noch nicht gibt. „Der kritische Kannibale könnte“ nämlich sonst „nur noch sein eigenes fades Fleisch verspeisen“ (S. 133), wie es mit einer zuweilen durchbrechenden Lust am Deftigen heißt.
Zum Neuen muss es eine Liebe geben, vielleicht ist diese – „der Literaturkritiker als Exeget“ unternehme „liebende Kritik“ (S. 155) – das, was philologisch an der Kritik ist, wobei zu dem Zeitpunkt sich längst versteht, was Benjamin notierte und der Verfasser auch eingangs wie zu Beginn des Schlusskapitels zitiert bzw. paraphrasiert: „Echte Polemik nimmt ein Buch sich so liebevoll vor, wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet“ (S. 12 u. 271). Dieser Gratwanderung, barbarisch oder bissig zu sein, aber reflektiert und dessen eingedenk, entspricht auch das Buch Schmitt-Maaß‘, er lässt dabei wenig aus, inklusive „Föto- oder Pädophagie“ (S. 310), aber „das frische, junge Buch“ (S. 310) wird aufgrund solcher Hässlichkeiten, wie sie sonst unbemerkt geschähen, dann auch gefördert und mitunter geschont, wenn die Theorie die Kritik eben zähmt oder wenigstens dabei beschämt…
Sonst wären es die besagten Marktmechanismen und Algorithmen, die die Literatur vivisezierten, doch ohne das schlechte Gewissen, das den akademischen Kannibalen überkommt, den der Verfasser vorschlägt. Gewissenlos sind auch die angeblichen Online-Rezensionen, „die Internet-Literaturkritik sei demokratisch“ (S. 292), sagen jene, die von „extrinsischen“ (S. 292) Motivlagen abgesehen auch nicht berücksichtigen, wie Maßgeblichkeit da mit Gefälligkeit verwechselt wird. Das aber ist nicht Demokratie, sondern eine korrumpierte Ochlokratie. Freilich kann man (mit oder gegen Schmitt-Maaß) da darauf hinweisen, dass „die Krise der Kritik bereits etymologisch eingeschrieben ist“ (S. 317) – oder sie damit anhebt, derlei an sich immer zu bemerken, weil es derlei in und an ihr immer zu bemerken gibt.
Zuletzt ist die Frage: Wie kannibalisiert man denn nun dieses Buch am besten? Es ist ein Kompendium der Mahnungen und Infragestellungen, die so verästelt sind, dass sie in der Speiseröhre steckenbleiben. Das Buch will gelesen werden, aber nicht weitergeschenkt, man hat hier ein produktives Ärgernis für viele Jahre. Und dazu sollte man Schmitt-Maaß auch als Praktiker im Auge behalten, als punktgenauen, scharfen, aber auch skrupulösen Literaturkritiker, als der er immer wieder in Erscheinung tritt. Als dieser hätte er schon hier manchmal seinem schmutzigen Handwerk nachgehen dürfen, vielleicht auch kriminologisch manchem Urteil in Form der Fallstudie, aber auch so ist seine Studie meist anschaulich und durchaus zu empfehlen.