#Sachbuch

Kritiken schreiben

Stephan Porombka

// Rezension von Reinhard Urbach

Kann man kreatives Schreiben lernen, oder ist es angeboren, bzw. in die Wiege gelegt?
Wer so anfängt, hat schon einen Fehler gemacht. Nach Stephan Porombka sollte man eine Kritik nicht mit einer Frage beginnen. „Das wirkt immer formelhaft. Die Frage wird ja nicht entwickelt, sondern dem Leser einfach so vorgesetzt. Es ist nicht klar, warum sich die Frage überhaupt stellt. Man sollte sie besser in der Kritik Schritt für Schritt entwickeln“ ; der Leser soll „spüren, dass die Frage in der Kritik aufgebaut und dann auch beantwortet wird.“ Porambka stellt eine Warntafel für polyglotte Übende auf: „Don’t!“.

Ein neuer Versuch: Vielleicht kann das Problem mit einer Antwort erledigt werden, ohne die Frage gestellt zu haben:
Von der Alternative der Frage, ob man kreatives Schreiben lernen könne oder ob es angeboren sei, setzt sich in jüngster Zeit die erste durch. Die Folge ist: Schreibschulen boomen, Anleitungen zur Kreativität haben Konjunktur. Das war zuletzt so im Barock, als feststand, dass Schreiben nach Regeln geschieht, zu geschehen habe und man es deshalb aus Büchern lernen kann. Erst im 18. Jahrhundert wurde der Dichter elitär, war ein Genie, Schreiben eine Fähigkeit, die man üben muss, die man aber nicht erlernen kann, sie ist gottgegeben. Anleitungen degenerierten zu Briefstellern, allgemeinen Vorschriftskatalogen für richtige Formulierungen von Eingaben, Dokumenten bis hin zum privaten Brief, an die Verwandten, Paten, Freunde und Geliebten. Heutzutage wird kreatives Schreiben an den Universitäten gelehrt, an eigens dafür eingerichteten Schulen und Kursen unterrichtet. Was zunächst als Mode, die aus den U.S.A. kam, aber auch schon in totalitären Gesellschaften gang und gäbe war, von den Insidern beargwöhnt wurde, institutionalisiert sich. Absolventen tauchen immer häufiger unter den erfolgreichen Autoren auf. Es ließe sich daraus der Schluss ziehen, dass eine Zeit angebrochen ist, die auf Gleichschaltung Wert legt, der Originalität als Außenseitertum gilt und entsprechend ins befremdliche Aus gedrängt wird. Tatsächlich ist das Originelle wichtiger geworden als das Originale. Das ist lernbar, dafür gibt es Muster.
Auch mit einem solchen Rezensionsbeginn wäre Porombka nicht zufrieden. Es wäre eher ein Indiz für „Thema verfehlt“. Es soll ja doch ein Buch übers Kritikenschreiben und nicht über kreative Fiktionalität rezensiert werden. Also sei ein neuerlicher Anlauf versucht:
Was für die fiktive, „gedichtete“ Literatur gilt, ist als Maßstab auch an die kritische Betrachtung, auf Rezensionen und Kritiken, Besprechungen und Glossen anzulegen.
Wobei zuzugeben wäre, dass es dafür Kriterien gibt, die seit Jahrhunderten praktiziert werden und vom Tagesjournalismus herkommen. Grundlage einer Besprechung ist ebenso wie bei der Reportage die Information des Wer-Was-Wann-Wo-Wie.

Hier könnte Porombka einwenden: Doch. Der Kritiker braucht ein kreatives Potential, denn er muss seinen Stoff „erzählen“ können, und zwar „nacherzählen“, bevor er sich an die Analyse begibt. Der Leser muss ausreichend informiert werden, worüber in der Rezension befunden werden soll. Wer kritisieren will, muss zunächst beschreiben können. Es ist niemand damit gedient, wenn der Kritiker gleich seine Meinung auftischt, ohne sie ausreichend vorbereitet zu haben.

Porombka stellt einen umfangreichen Katalog auf, der ihm als Vorbereitung für den Beginn des Schreibens unabdingbar scheint: Kritiken lesen und nach ihrer Herstellungsweise befragen. Geglückte von misslungenen Kritiken unterscheiden. Zeitungsartikel nacherzählen, zusammenfassen, in mehreren Anläufen komprimieren. Darüber hinaus Alltagsbeobachtungen machen, Situationen und Szenen zu beschreiben üben. An Erzähltexten die Zusammenhänge erkennen („Kontextualisierung“) und die Besonderheiten ausmachen („Symptomatisierung“). Vom kritischen Schreiben verlangt Porombka eine umfassende kulturelle Phänomenologie, die Erkenntnis und Bestimmung der Zusammenhänge, die Fähigkeit der Reduktion der Ergebnisse auf die vorgeschriebene – notwendigerweise eingeschränkte – Anzahl der Zeilen. Und immer wieder: Gutes Erzählen. Darüber hinaus muss bedacht werden , für welches Medium geschrieben wird: Tageszeitung, Boulevardpresse, Magazin, Radio, Fernsehen, Internet. Der Lehrmeister muss nicht selbst ein guter Kritiker oder Analytiker sein. Er muss nur auf den Weg bringen. So wäre es billig, Porombka selbst einige missglückte Formulierungen oder Analysen vorzuwerfen. (Er schlägt vor, Kritiken zu „obduzieren“, als ob sie allesamt mausetot wären. – Bei der Interpretation der Beschreibung einer rüden Gepäckkontrolle beim Grenzübertritt in ein Ostblockland fehlt ihm offenbar die Erfahrung, um alle Formulierungen richtig einschätzen zu können.)

Das Buch strotzt vor Beispielen, an denen man üben kann. Da es aber kein Lehrbuch oder Handbuch ist, sondern ein Übungsbuch, ist die Benützung schwierig. Das Training kann zwar auch im Selbststudium durchgezogen werden, aber es fehlt die Supervision der Übungen, die man vornimmt. Deshalb ist es wohl doch eher für den Seminarbetrieb geeignet.
Die Herstellung ist mit Sorgfalt vorgenommen worden. Fast zu viel des Guten: Ein Sachregister, das in einem Trainingsbuch entbehrlich wäre. Was nützt das Stichwort „Erzählen“, wenn es im Text fast auf jeder zweiten Seite vorkommt?
Äußerst hilfreich ist die kommentierte Bibliographie. Man wird nicht mit der Fülle der Titel allein gelassen, sondern auf das Wesentliche hingewiesen und hat zudem die Möglichkeit, die Komprimierungsfähigkeit des Trainers an seinem vorgegebenen Rüstzeug zu messen.

Stephan Porombka Kritiken schreiben
Ein Trainingsbuch.
Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, 2006.
270 S.; brosch.
ISBN 978-3-8252-2776-0.

Rezension vom 19.02.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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