#Sachbuch

Krieg und Migration im Comic

icon Düsseldorf (Hg.)

// Rezension von Martin Reiterer

In der ersten allgemein als Comic anerkannten Serie, „Hogan’s Alley“ von Richard F. Outcault, wimmelt es von den Sprachen der Migranten. Die „besondere Affinität zwischen Comic und Migration“ (76) ist dem Medium seit seinen Anfängen im Jahr 1895 eingeschrieben, als die Hauptfigur „The Yellow Kid“ erstmals über die US-amerikanischen Zeitungsblätter tappte. Dieser Umstand bildet einen Hintergrund des Bandes Krieg und Migration im Comic – Interdisziplinäre Analysen, den icon Düsseldorf, das Interdisziplinäre Comicforschungs-Netzwerk der Heinrich-Heine-Universität, herausgebracht hat.

 

Die ersten Comics waren nicht allein ein Spiegel der migrantischen Realität des Einwandererlandes, sie wurden auch vornehmlich von diesen gesellschaftlichen Minderheiten gelesen. Darüber hinaus wurden sie auch von Migranten produziert, was einige wie Rudolph Dirks’ „The Katzenjammer Kids“ oder Lyonel Feininger „The Kin-der-Kids“ bereits durch ihre Titel verraten. Und noch das spätere Genre der Superhelden-Comics „wurde von einer gesellschaftlichen Minderheit erschaffen, die mit Flucht, Migration, Assimilation und Ausgrenzung umzugehen hatte“ (ebd.). Wenig überraschend, dass das Thema Migration auch gegenwärtig auffallend stark im Comic vertreten ist. Der Begriff umfasst hier Migration in all seinen Formen und schließt etwa Arbeitsmigration ebenso mit ein wie Flucht oder undokumentierte Migration. Es ist die hybride Form des Mediums Comic, bestehend aus Text und Zeichnung, und die sich daraus ergebenden spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten, die diese Affinität nachhaltig begründet.

Doch das „Migrationskind“ Comic ist auch ein „Kriegskind“ (12), so Andreas Platthaus, der in seinem Essay eine weitere Linie der Abstammung für den Comic in Anschlag bringt. Bemerkenswert ist dabei der Hinweis auf den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im Jahr 1898, also um die Entstehungszeit des Mediums, der nach den anhaltenden Folgen eines langwierigen Bürgerkriegs endlich eine Einigung im Innern herbeiführen sollte. Die Presse, die dabei mit viel Fanatismus und Geschrei um ihre Leser kämpfte, setzte dabei auch Bildergeschichten für ihre Zwecke ein, allerdings nicht wie zu erwarten, um damit „Meinungsmache“ zu betreiben, sondern um sich „um Ablenkung durch ihren humoristischen Inhalt [zu bemühen], der ihr schließlich auch die Bezeichnung „Comic“ einbrachte“ (14). Als weiteres Beispiel, wie „Krieg die Entwicklungslinien des Comic“ bestimmte, führt der Autor etwa die Nachkriegszeit in Japan und Deutschland an, als nach der Kapitulation „in einer Art von kultureller Kompensation alles Amerikanische nun von den Geschlagenen umarmt wurde, was zuvor arrogant als minderwertig abgetan worden war“ (16). Dass Flucht schließlich eine häufige Folge von Krieg ist und damit die Themen auch logisch ineinandergreifen, muss nicht eigens ausgeführt werden.

Neben Beiträgen, die einen Überblick über Themen und Motive in Comics zur Migration aus der Frühzeit bis zur Gegenwart verschaffen (Dietrich Grünewald) oder über „Flüchtlinge in frankophonen Comics und Graphic Novels“ (Marina Ortrud M. Hertrampf), richtet der Band seine Aufmerksamkeit auf so unterschiedliche Aspekte wie „erzählende Dinge“ im Comic (Monika Schmitz-Emans) oder eine überraschende Verwandtschaft zwischen Landkarten und Comics (Mara Stuhlfauth-Trabert / Florian Trabert). Ein zentraler Aspekt des Comics im Allgemeinen und insbesondere von Comics, die sich mit Migration auseinandersetzen, bildet die Darstellung von Raum und Räumlichkeit im Spannungsfeld von Ort und Un-Ort, von Utopie und Heterotopie, von legalem Aufenthaltsort und isoliertem Lager, die in zwei Aufsätzen aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht wird (Florian Trabert und Frank Leinen). Dabei rücken auch Fragen der Repräsentation ins Blickfeld wie das Dilemma der Darstellbarkeit, das etwa die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak polemisch gegen die westlichen Intellektuellen, „die sich die Maske abwesender Nicht-Repräsentierter anlegen und die Unterdrückten für sich selbst sprechen lassen“ (zit. nach Trabert 120), auf den Punkt bringt. Die jeweiligen Analysen beziehen sich auf bekannte und weniger bekannte Comics wie etwa Shaun Tans „Ein neues Land“ (2008), Barbara Yelins „Irmina“ (2014), Reinhard Kleists „Der Traum von Olympia“ (2015), Léopold Prudons „De l’autre côté“ (2015), Paula Bullings „Im Land der Frühaufsteher“ (2015), „Geschichten aus dem Grandhotel – Comic-Reportagen von Augsburger Design-Studierenden“ (2016) oder die Sammlung von Comicreportagen „Alphabet des Ankommens“ (2017) u.v.m.

Wie die Darstellung von Raum oder die Räumlichkeit in den Panels ist der Raum zwischen den Panels, der gutter, ein gleichsam magisches Element des Comics mit einer temporalen Dimension. Die Bedeutung des Rahmens ist für das Erzählen in Bildern essenziell und wird bereits in der Seitenarchitektur sichtbar. Anhand von Joe Saccos Comicreportagen zeigt Michael Heinze, wie verschiedene „Techniken der Fragmentierung“ (137) das Erzähltempo bestimmen können, wie es zu „temporale[n] Verdichtung[en]“ (149) oder Entschleunigungen kommt. Mit Lücken inhaltlicher Art hingegen setzt sich Susanne Brandt anhand der Comics von Birgit Weyhe auseinander, die zur Rekonstruktion von Lebensläufen und Familiengeschichten – während der Weltkriege – notgedrungen auf Fiktion angewiesen ist. Doch Weyhe reflektiert „das Verflechten von Fakten sowie Quellen und Erdachtem“ (161) offen und findet visuelle Wege, um gerade „das nicht Sichtbare darzustellen“ (167).

Zwei weitere Beiträge befassen sich mit dem japanischen Comic, dem Manga. Dabei rückt das Thema Krieg in den Mittelpunkt, das insbesondere in der Nachkriegszeit in Japan zu einem zentralen Sujet wird. Allerdings bleibt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – der Zweite Weltkrieg im asiatischen Raum überraschender Weise „eine Art Leerstelle“ (185), worauf Stephan Köhn in seinem Aufsatz hinweist. Zu berücksichtigen ist, dass Mangas in mit dem europäischen Markt unvergleichbar hohen Auflagen erscheinen. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich in einem Mädchen-Manga der 1970er Jahre, eingebettet in eine romantische Liebesgeschichte, das heikle Thema der japanischen Kolonialpolitik in der Mandschurei findet. Außergewöhnlich erfolgreich war zuletzt der auf Deutsch unter dem Titel „In this corner oft the world“ (2007-2009) erschienene Manga der Erzählerin K?no Fumiyo, der den Zweiten Weltkrieg akribisch genau und detailliert aus der Sicht einer Frau an der „Heimatfront“ (235) nacherzählt. In dem minutiös recherchierten und erzähltechnisch raffinierten Manga spielen Authentifizierungsstrategien eine herausragende Rolle, die beispielsweise durch eine ausgeklügelte Serialisierung – die monatlich veröffentlichten Episoden laufen beispielsweise jahreszeitlich parallel zu den historischen Ereignissen – gesteigert werden. Das zeigt Elisabeth Scherers Analyse dieses Erinnerungs-Mangas, der allerdings dennoch tief im Opfermythos und in einem revisionistischen Geschichtsbild verhaftet bleibt.

Zum Schluss stellt Frank Leinen die grafische Erzählung „As?lum“ (2015) des baskischen Zeichners Javier de Isusi in den Kontext gegenwärtiger Theorien des Flüchtlings von Michel Foucault und Hannah Arendt bis Giorgio Agamben und Roberto Esposito. Den dystopischen Perspektiven gegenwärtiger Biopolitik als einer Flüchtlingspolitik, die die Geflüchteten auf ein „nacktes Leben“ ohne Rechte reduziert, widersetzt sich Isusis „As?lum“, indem der Autor die Leserinnen den Geflüchteten symbolisch von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten lässt.

Angesichts der noch immer bescheidenen Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen zum Comic im deutschsprachigen Raum ist dieser Band ein willkommener Lesestoff. Er enthält nicht nur eine Reihe brillanter anregender Analysen, er verbreitet auch Lust auf Lektüre, mit geschärften Sinnen.

icon Düsseldorf (Hg.) Krieg und Migration im Comic
Interdisziplinäre Analysen.
Bielefeld: transcript, 2020 (= Edition Kulturwissenschaft. 223).
310 S.; brosch.
ISBN 978-3-8376-5125-6.

Rezension vom 12.01.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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