#Lyrik

Kreuz

Axel Karner

// Rezension von Helmuth Schönauer

Wo immer man den Gedichtband auch aufschlägt, man stößt auf Scherenschnitte, riesenhafte schwarz-weiße Konturen, die sich im graphischen Morphem dann doch fein ziselliert verfransen. Man erkennt beispielsweise ein Totengerippe, exakt ausgeschnitten, das auf einem Mobilar, halb Stuhl, halb Kruzifix posiert. Dabei versucht das Gerippe irgendwie den Korpus am Kreuz zu imitieren, vielleicht kratzt es sich aber nur aus Verlegenheit. Eine Krähe, absolutes Muß in der schwermütigen Lyrik, schaut dem Treiben halb gähnend zu. Diesem Scherenschnitt Joseph Kühns ist Axel Karners Gedicht „mein gott“ gegenübergestellt, nicht minder schwarz-weiß, „mit dem kopf / im blut / und dem trommeln / der stiefel // bin an den tod ich gewöhnt“. Text und Bild ergänzen sich hier nicht nur, sie kommen sich auch in die Quere oder kreuzen sich wie in der Vererbungslehre zu einem neuen, doppelt geschwärzten Produkt.

Axel Karners Lyrikband setzt sich aus zwei schroffen Teilen zusammen. Im ersten Teil ordnen sich die Gedichte im Sinne eines Kreuzwegs, freilich ohne die beiden letzten Erlösungsbildchen zu einer zwölfgliedrigen Orgie an Verknappung, Verzweiflung, Heilsverstümmelung und Sarkasmus. Hier ist von Schande, billigem Fleisch und unbarmherzigem Schweigen die Rede. Die Geschichte vom Kreuz wird vorgeführt wie der billigste Kreuzerlstich auf der Leinwand des Hauschmucks, die einfachen Botschaften der Kruzifixdramaturgie sind eine kleine Schraubendrehung weiter gespannt, bis an die Tragfähigkeit der Botschaften. „der mit dem kübel / stiehlt sich davon / seinen durst / im feuer ertränken“ endet dieser scharf geflochtene Lyrikkranz realo-transzendent. Der gegenüberliegende Scherenschnitt spricht an dieser Stelle im Stile der Bremer Stadtmusikanten eine Botschaft mit Feuer und Schwert aus. (Die Scherenschnitte des ersten Teiles sind bis auf eine Ausnahme jeweils in ein Kruzifix eingesperrt.)

Der zweite Teil ist überschrieben mit der seltsamen Botschaft: „Das Wort ist geworden kleine Fische“. Hier denkt man unwillkürlich an die saftige Formulierung des Volksmundes, wonach eine sinnlose Anweisung „für die Fisch“ ist. In diesem Zyklus ist von seltsamen Umtrieben die Rede, aneinandergereiht ergeben die Überschriften einen Übersinn: „füllen / hallt / im schlachthaus / bei dem gestank / saßen / treibt / blühen / geht aus dem schlachthaus / lacht / werden sie leben / wachsen / neum jahwe“. Jeder Parole folgt die Verhöhnung auf den Fuß, wer nicht sehen will, was wird der dann glauben, heißt es recht einleuchtend.

Axel Karners Gedichte arbeiten mit dem Material der Lehre vom Kruzifix, der übliche Kontext ist zerstört, statt der feierlichen Meßgewänder zieren Scherenschnitte das meditative Arrangement. Das Überwort Kreuz ist zerlegt in religiöse und triviale Ansprüche, mal ist der Text ausgegossen wie für eine theologische Morgenbetrachtung, dann wieder eine Regieanweisung eines lyrischen Therapeuten. Dabei sind die Texte kaum länger als zehn Zeilen, die Zeilen oft zusammengeschrumpft auf einen einzigen Begriff. Wenn es in der österreichischen Epik einmal so etwas wie den negativen Heimatroman gegeben hat, worin sich durch Dekonstruktion der alten Idylle der Zustand der Peripherie herausgeschält hat, dann könnte man von Axel Karners Lyrik als „negativen Meditationen“ sprechen. Auch hier ergibt sich der Sinn durch Dekonstruktion idyllischer Glaubensbildchen. – Eine interessante Zugangsweise zu unerklärlichen Dingen, und dazu ist Lyrik ja da.

Axel Karner Kreuz
Gedichte.
Mit Scherenschnitten von Joseph Kühn.
Weitra: Bibliothek der Provinz, 2003.
59 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85252-455-5.

Rezension vom 12.12.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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