Doch zurück zu Bruno Grobschneider. Er ist der Antiheld vom Dienst in Widners Satireroman Kreitzberg. Schon der junge Mann, ein „Typ, der im Zugabteil immer in Fahrtrichtung am Fenster sitzen will“, glüht vor Ehrgeiz. So entschließt er sich dazu, seine Bedeutung über den Umweg kommunaler Angelegenheiten zu steigern. Dabei hilft, dass er außerordentlich trinkfest ist und schon sein Vater Chef im Rathaus war. So zettelt Grobschneider junior denn ein Großprojekt nach dem anderen an. Brücke, Hallenbad, Kongresshaus, Palmenhaus, Parkhaus, neuer Hauptplatz – alles setzt er in den Sand. In seinem Auftrag suchen Wünschelrutengänger nach einem „Ort der Kraft“ und finden statt der erhofften Therme eine Sickergrube. Auf Gedeih und Verderb lässt er ein Stadion bauen, das auf dem sumpfigen Grund gleich mehrere Meter tiefer rutscht. Natürlich bereichert sich Grobschneider auch persönlich – gönnt sich Limousine mit Chauffeur, Heimkino, Swimming Pool wie beheizte Einfahrt – und lässt sich auf peinlichste Weise feiern. Zum Beispiel beauftragt er einen örtlichen Bildhauer, eine nackte Jünglingsskulptur anzufertigen, die ihm ähnlich sehen soll.
Gelegentlich dreht Bruno – und mit ihm die Handlung – im Leerlauf durch. Nacheinander brüskiert er den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler und einen „finnischen Minister“, dem er auf die Hemdbrust kotzt. Kreitzberger Nächte sind lang – deshalb läuft Bruno auch mal splitternackt durch die Straßen, wenn er sich nicht gerade nach dem Genuss von Kreitzberger Wein in die Hosen macht. Außerdem ist er impotent, weshalb seine Frau sich von anderen beglücken lässt. Oder war es andersherum? Am Schluss brennt Kreitzberg. Doch nicht der verrückt gewordene Nero-hafte Bruno hat es angesteckt, sondern eine Horde Fußballfans. Immerhin ist das Städtchen durch seinen Bürgermeister noch zum Austragungsort von wichtigen Fußballspielen nobilitiert worden – wie ja auch das echte Klagenfurt bei der Fußball-EM 2008.
Alexander Widners Roman verläuft sehr erwartbar. Die Politiker sind korrupt und unfähig, die Künstler raffiniert und raffgierig. Die infantilen Charaktere, das Gefurze, Gesaufe und Gehure entspricht dem, was man vom Anti-Heimatroman seit Jahrzehnten kennt – und schon bissiger, triftiger, abgründiger gelesen hat. Zwar gelingen Widner auch Beobachtungen von aphoristischer Schärfe, doch bleibt der Roman insgesamt zu sehr an der Oberfläche. Die Handlung zerfällt in einzelne Episoden und Anekdoten, ohne sich zu einem großen Spannungsbogen zu fügen. Die Figur Brunos gewinnt kaum mehr Kontur als die vielen Dezernenten, Konsulenten, Referenten und Petenten, die ihn umgeben. Phasenweise entfaltet das Geschehen durchaus einen absurden Reiz, etwa wenn die Senioren durch die Verlegung des Altersheims in einen Krähwinkel randalieren und zur Gefahr für die öffentliche Ordnung werden. Oder wenn ein Totengräber für fähig gehalten und ins Rathaus geholt wird, weil er die Gruben für Moribunde bereits auf Vorrat aushebt. Trotz der hin und wieder aufblitzenden Pointen – Alexander Widners Kreitzberg bietet eine sattsam bekannte Alpenmelodei, die vielleicht noch die eine oder andere lokalpolitische Krähe zum Aufflattern bringt. Den Satire-geneigten Leser lässt sie enttäuscht zurück.