Zumindest wacker so zu tun, als sei das nicht geschehen, und damit kraft des schieren Glaubens auf die Realität ein wenig einzuwirken, ist also das erste Verdienst des Sonderzahl-Verlags. Das zweite ist, dabei einen ganz bestimmten Stallgeruch entwickelt zu haben. Nämlich einen, der etwas mit prononciert zivilen Umgangsformen zu tun hat. Mit inhaltlicher und zum Teil grundlegend ideologischer Spannung zwischen Stammgästen des Hauses, die sich aber durch den genannten Anspruch zu einem Latenzfeld fruchtbarer Auseinandersetzung umdeuten ließ. Man könnte die beiden Verdienste auch zusammenfassen: Sonderzahl – neben wenigen anderen Diskursvertriebsinstanzen – bewahrt Österreich vor dem völligen Provinzialismus. Soviel zur jubiläumsbedingt durchaus angebrachten Lobpreisung. Die Frage aber, was mit dem Geburtstagsbüchlein des verdienstvollen Hauses nun anzufangen sei, wurde noch nicht einmal angeschnitten. Der geneigte Leser wird wohl kaum den Kaufpreis aufbringen, bloß um eine Belobigung zu vollziehen – wie reizvoll die Vorstellung einer so gearteten Öffentlichkeit auch sein mag.
Zweiundzwanzig Dramolette von mehr oder minder bei Sonderzahl heimischen Autoren, zwanzig Interview-Fragen an den Herausgeber und einen stolz mit „20 Jahre. Backlist“ betitelten Verlagskatalog beinhaltet er, der „Jubelband“. Daß die Dramolette, die anlassgebunden um das Wörtchen „Zahl“ kreisen, auch tatsächlich aufgeführt wurden, mithin, daß sie aufführbar sind, erschloss sich mir erst beim genaueren Durchsehen der Verlagsangaben – und ließ mich, der ich die Texte bereits intus hatte, ein wenig ratlos zurück. Ist doch bei neueren Dramoletten, auch den vorliegenden, das Spiel mit der eigenen Unaufführbarkeit, mit der nicht umzusetzenden Regieanweisung, integraler Bestandteil der Form, die sich als Ausdruck des Augenzwinkerns der Autoren angesichts der thetralen Allmacht übers Werk entwickelt hat.
Wie Lukas Cejpek als Regisseur etwa folgende Regieanweiung in Alfred Pfabigans „Never Change a Winning Style“ umgesetzt hat, entzieht sich meiner Vorstellungskraft und lässt mich meine Abwesenheit bei der Uraufführung im Ensemble Theater in Wien sehr bereuen: „Der ehemalige siebente Zwerg von Links: schleicht beschämt heim, schreibt ein schlechtes Dramolett und vergisst dabei auf das Wort ‚Zahl’…“
Natürlich, wie bei einem Essayverlag und der Galerie seiner üblichen Verdächtigen nicht anders zu erwarten, kreisen einige der Texte, unter die sich übrigens auch drei Nicht-Dramolette geschmuggelt haben, um gesellschaftspolitische Themen: Da lässt berufenerweise Prof. Schmidt-Dengler den „Rektor“ und die „Frau Minister“ in jandlscher Reduktionsmanier über die Gesundschrumpfung der Unis feixen; da liefert Alfred Pfabigan eine kürzest-Version von dreißig, vierzig Jahren österreichischer Geschichte; da werden Gassenhauer wie das „Salzfass“ mitsamt monarchistisch-filzigem Assoziationsfeld (Astrid Poier-Bernhard) oder der Geldmangel der Literaturszene (K. P. Liessmann) neu intoniert. Immer wieder mal stößt man auf Texte, die den Charakter von Insider-jokes tragen, Bandhauer hier, Bandhauer da, und eigentlich habe ich nach der Lektüre durchaus das (trügerische) Gefühl, von dem Mann ein bissl was zu wissen: Für ein Buch wie das vorliegende wohl kein allzu schlechtes Verdikt. In jedem Fall: Dem Haus und seinem Meister sei’s vergönnt.
Alles an dem Band, einschließlich des Interviews, ist unterhaltsam. Entgegenzuhalten, wo es um die Kosten-Nutzen-Frage geht, wäre vielleicht, daß es ja nicht gar sooo schwer ist, die muntere Selbstbespiegelung eines Kreises von ‚üblichen Verdächtigen‘ unterhaltsam zu gestalten. Daß sie aber nicht nur unterhaltsam gestaltet wurde, die Selbstbespiegelung, sondern uns auch noch schön vor Augen führt, was denn die Tellerränder und Traditionslinien sind, über die hinweg bzw. von denen aus die genannten Verdächtigen bei ihrer Diskurstätigkeit uns anblicken, schwächt den Einwand: Gut zusammengestellt , und für alle Sonderzahl-Leser was dabei, von der Aufklärungs-Wiederaufwärmerei über Gezwitscher im jeweiligen Idiom der diversen Literaturtraditionen des 20. Jahrhunderts bis hin zum gekonnten Schurigeln der Tages- und Zeiterscheinungen. Dies, so ahnten wir’s bisher nur, ist also die Spannweite dessen, was in Österreich ‚kritische Intellektualität‘ heißen darf.
Vor allem eines macht das Büchlein aber, und daß da so mancher ‚Werbung‘ oder ‚utter pointless‘ raunt, schert den Dramolett-Belustigten nicht wirklich: Appetit auf mehr.