#Lyrik

Konfrontationen

Maria Seisenbacher, Hermann Niklas

// Rezension von Roland Steiner

In einer Welt der Followers, Fans und Internet-Friends mittels Gedichten zwischen Buchdeckeln zu kommunizieren erscheint als Anachronismus. Und dann noch das Resultat in Doppelautorenschaft zu veröffentlichen, als Buchdebut fern aller Ich-Markenpflege: „Gemeinsam alles neu machen“, „Ausprobieren von geschriebener Kommunikation“, Situationen erfassen und Antworten – ein Vorhabenskatalog, der diesen Antwortgedichtband einleitet und doch auch für digitale „Twitteratur“ und andere literarische Chatformen gelten könnte.

Was also bewegt zwei Menschen Anfang Dreißig, einander in lyrischer Form zu konfrontieren? Nennen wir die Unwörter „Beziehungsarbeit“ und „Schreibarbeit“, stechen gewisse Parallelen ins Auge: Hier wie dort versenkt man sich, testet Selbst- und Fremdbild auf kommunikative Weise und versucht sich in Offenheit und Hermetik. Diesen Ähnlichkeiten zupass kommt, dass Maria Seisenbacher und Hermann Niklas auch realiter ein Paar sind. Ein Paar, das für dieses Buchprojekt den Theodor Körner Förderpreis 2009 erhalten hat, zuvor auch – Niklas 2006 und Seisenbacher 2008 – das Hans Weigel Literaturstipendium des Landes Niederösterreich (was sich offenbar nicht verträgt, hat doch der „schwarze“ Landesverlag von der Nennung der „roten“ Auszeichnung abgesehen?).

Abseits dieser Parallelen hat jeder sein eigenes lyrisches Ich. So schreibt Niklas impulsiver und expressiver, während Seisenbacher Impressionen zuweilen desillusionierend auf den Punkt bringt. Im Dialogbeginn spielt sie oft mit Identitäten, ihre Antworten sind bestimmt, wie auch versöhnlich, ungerichtet spricht sie leiser. Tastet er „einen Augenblick nach deiner Stimme“ ab, übt sie sich „in scheuer Scham“. Auffällig ist der hohe Grad an Körperlichkeit, die beide einem geradezu analytischen Blick unterwerfen. Daraus entstehen schmerzliche Bilder – „eine Hand an der Reling / die andere auf der Milz“ –, zumeist aber zarte Ausdrücke des Staunens. Der Moment, als die Lippen die Zähne die Zunge aneinander gerieten und „nirgendwo hinzusprechen hatten“ oder „der verlorene Moment, nicht ein Haar wachsen zu hören“.

Wie man in Gedanken an den anderen sich nähert, werden Sinnesorgane und andere Körperteile zu Komposita („Mundaugen“, „Körperbauch“) oder zu Gefühlen („Außenhautschauder“). In diesen Konfrontationen geht es um Vertrautheit, etwa wenn seine „Pupillen“ auf ihre „Lippen fallen“, um nach Jahren befremdende Nähe, die in „fensterlosen Nischen wundet“, und um nicht nur in Liebe manifestierte Verbundenheit. Eine Verbundenheit, die sich auch beim Lesen einstellt, ein versuchsweises Hin- und Herwogen innerhalb des (wie auch immer) vertrauten Überbaus namens Liebe: „es ist nicht nötig scharf zu sehen / streicht man erst sein Augenweiß / über einen fremden Körper / um sich vertraut zu machen“.

Dieser sich in Intimität, Fremdheit und Verbundenheit entwickelnde dreiteilige Beziehungsablauf setzt sich auf der inhaltlichen Ebene der Antwortgedichte im dialektischen Dreischritt von These, Antithese und Synthese fort. Formal betrachtet bestehen diese Gedichte aus abgetrennten Sätzen und Satzteilen, die ohne metrische Skandierbarkeit gleichwohl als Verse wahrgenommen werden. Niklas‘ eher prosaischer Duktus findet eine strukturelle Entsprechung in Seisenbachers lyrisch kargerer Akzentuierung, seine gesellschaftlichen Implikationen und Kritiken spielt sie in sich selbst oder in Zweisamkeit durch. Und einer realen Beziehung entsprechend dynamisieren einander die Körpersensationen, die „Schädelblitze am Ohr“ (Niklas) erzeugen „Atemtropfen neben dem Aug“ (Seisenbacher).

Das in der Buchpräambel versprochene „Entstehen einer gemeinsamen Sprache“ findet sich neben diesen Einpassungen auch in der Ableitung von Verben aus Substantiven wie etwa „pfoten“ oder „wellen“ (was nicht immer funktioniert), als ob die Wörter buchstäblich tätig werden sollten. Während Niklas stärker die in der Natur angesiedelte Gegenwart reflektiert, ergründet Seisenbacher häufig ihre halbjapanische Herkunft, seine Symbolfarbe Rot bestrahlt dann ihre „Mandelaugen“.

Das sie verbindende Feuer wird durch Lichtmetaphern signalisiert, die Illustratorin Goto in ausfransend schwarze Silhouetten bettet. Diese mittels Computerprogramm entstandenen, sich überlagernden Gesichter auf Transparentpapier legen sich beim Umblättern über das jeweilige Dialoggedicht gegenüber. In der empfohlenen Zweitlektüre des haptisch und visuell anregenden Gedichtbandes spürt man dann hinter Niklas‘ Erzählstaccato die poetische Luftigkeit und in Seisenbachers hermetischer Knappheit die Offenheit zu erzählen.

Das Autorenpaar durchmisst die einsam oder gemeinsam, später mit Nachwuchs im „Dreiherzbett“ verbrachten essentiellen Lebensetappen retrospektiv mit befriedender Sentimentalität – „dass alle Wörter verbrannt sind / am Weg zum hellen Leben“, steht nicht zu befürchten. Ihr Gedichtband Konfrontationen ist eine korrespondierende Liebes- und Leidensanalyse, eine zweisame Emotions- und Gedankenkommunikation, die trotz Zueinandergewandtheit Empathie erzeugt, ganz gleich, ob einem solo „die Freiheit aus dem Nacken“ steht oder man „ein zielloses Ankommen“ in der eigenen Beziehung erlebt.

Konfrontationen.
Gedichte 2005-2008.
Artwork von Goto.
St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich, 2009.
70 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-902717-03-0.

Verlagsseite mit Informationen über das Buch

Rezension vom 01.12.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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