#Sachbuch

Kommentierte Werkausgabe

Werner Kofler

// Rezension von Alexander Kluy

Orlando kofleriosus, geschubert

„Manch einer stürzt in senkrechter Linie: zischt und schlägt ein wie ein Meteorit; sogar noch direkter, denn dort, wo er herkommt und hin will, gibt es keine Krümmung des Raums; sondern die Gerade ist gerade.“ Andere hingegen: „Andere sinken spiralig: knicksend vor dem Schicksal, werbend um Wiedergeburt; Geduld der Agonie, verschobenes Todesgelüst, bedachtsame Wollust des Selbstmords, bewusst hinausgezögerter Hadesdurst; Bedachtsamkeit der Bewegungen, Vornehmheit im Todeskampf, rhythmischer Sinn im Absturz; (…).“ Und dritte wiederum: „Andere fluktuieren unregelmäßig, umherirrend, nicht abgeneigt den schuldhaften Genüssen der Annäherung; unberechenbar auch für sich selbst; nun hält er sich in der Schwebe auf auseinanderstrebenden Fingern, auf parallelen Luftkuppen, wie Blatt oder Folie in windstiller Luft; es genügt ein Hundesatz, Katzenpiss, Frauendüfte – und es stürzt der flüchtige Zögerer.“

Sätze aus „Niederauffahrt“, einem Band des italienischen Autors Giorgio Manganelli, 1967 auf Deutsch im kleinen West-Berliner Wagenbach Verlag erschienen. In eben diesem Verlag erschien, in schwarze Pappe eingeschlagen in der Reihe „Quartheft“, 1975 ein dünner Band eines Kärntner Autors. Sein Name: Werner Kofler.
Es war jene Dekade, in der dieses kleine, unabhängige Verlagshaus bekannt wurde, durch Prozesse einerseits wie durch seine literarischen Autoren Erich Fried und Wolfgang Biermann, zu denen sich wenig später Pier Paolo Pasolini gesellte, und gleichermaßen durch gesellschaftliche Interventionen wissenschaftlicher Renegaten, des Soziologen Peter Brückner etwa, oder durch Aufsatzbände Ulrike Meinhofs, der zur Terroristin mutierten linken Journalistin.
Und zwischen einem Hommage-Band an den 90-jährigen Philosophen Ernst Bloch, „Fast alles Mögliche“ von Erich Fried, den Kofler zutiefst verabscheute, und Rudi Dutschkes „Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen“ also der erwähnte 80 Seiten schmale Band von Werner Kofler: „Guggile: vom Bravsein und vom Schweinigeln. Eine Materialsammlung aus der Provinz“.
Das Manuskript: zuvor abgelehnt vom Suhrkamp Verlag, dort als zu „langweilig“ rubriziert; und auch abgelehnt vom Salzburger Residenz Verlag, als zu „naiv“. Es gab gleich zwei Gutachten, die sich mit dem Text auseinandergesetzt hatten, eines abgefasst von einem Juristen, das andere aus der Feder eines Theologen. Mit der Verzögerung eines Kalenderjahrs erschien dann schließlich diese „totale Autobiographie“.

In den folgenden 35 Jahren, bis zu seinem Tod nach langem Leiden am 8. Dezember 2011, publizierte Werner Kofler – vom umfassend belesenen (Nord)Tiroler Bibliothekar und Autor Helmuth Schönauer ironisch als „Guggile-Kofler“ bezeichnet, um ihn vom Südtiroler, auf Deutsch und Italienisch schreibenden Lyriker Gerhard Kofler, dem „Zweisprachen-Kofler“ zu unterscheiden – 20 Bücher, er verfasste zudem 19 Hörspiele, einige davon in Kollaboration mit anderen AutorInnen, und es wurden ihm mehr als ein Dutzend Preise verliehen. „Die Gnade der frühen Geburt – das Jahr 1968 als Volljähriger erleben zu dürfen“ brachte ihn bald nach Wien, von wo aus er, so der an der Universität Mailand lehrende Germanistikprofessor Franz Haas in einer Werner Kofler-Studie aus dem Jahr 2001, „bis heute seinen Logenplatz in der Weltliteratur der underdogs mit immer schärferen Bissen, mit immer brillanteren Windmühlenkämpfen und Irrsinnssprachkunstwerken verteidigt.“
Dass nun, ohne kalendarischen Anlass, weder einen „runden“ Geburts- noch das „Jubiläum“ eines Todestags, eine dreibändige Werkausgabe erscheint, fest gebunden, fadengeheftet und jeder Band in eine andere Signalrotvariante geschlagen, in einem stabilen, tiefschwarzen Schuber versammelt, ist ein editorisches Ereignis.

Ein einschlagender Meteorit – ein spiraliger Sinkflug – eine unregelmäßige, umherirrende Fluktuation, „nicht abgeneigt den schuldhaften Genüssen der Annäherung“ (Manganelli): All dies trifft auf die Karriere Werner Koflers, des Kaufmannssohnes aus Villach und zeitweisen Lehramtsstudenten zu, der mit 20 Jahren in Klagenfurt für Aufsehen sorgte ob seines Dandytums, der seit 1968 in Wien lebte und dort in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof beigesetzt wurde. Kofler brachte auch das Kunststück fertig, 1996/97 Stipendiat der Arno-Schmidt-Stiftung gewesen zu sein, die das Erbe des deutschen Experimentaldichters und Typografieavantgardisten Arno Schmidt verwaltet, und 2001 den Peter-Rosegger-Literaturpreis anzunehmen.
Werner Kofler brachte, nach zwei sehr gering beachteten schmalen Büchern, fünf Bände im Wagenbach Verlag heraus, bis ihm dort nach zehn Jahren die Zusammenarbeit aufgekündigt wurde. Dann gab es, ab 1987, fünf Publikationen im Rowohlt Verlag, bis ihm auch dort nach zehn Jahren die Zusammenarbeit aufgekündigt wurde. Ab 1997 folgten Editionen in immer kleineren österreichischen Verlagen, bei Deuticke zwei Original- und Erstausgaben, bei Drava (Klagenfurt) ein vom Literaturwissenschaftler Klaus Amann zusammengestelltes Lesebuch, schließlich im Jahr 2010 im Wiener Sonderzahl Verlag die finale Veröffentlichung „ZU SPÄT. TIEFLAND, Obsession“.
Heute? Heute ist Werner Kofler, mit dem sich 2007 noch das Internationale Literaturfestival Sprachsalz in Hall in Tirol stolz schmückte, nahezu vergessen, gerade einmal ein Halbdutzend seiner Bücher ist noch lieferbar. Schon 1981 bedankte er sich für einen Literaturpreis mit einer seherisch-sarkastischen Pointe: „Meine Bücher sind in nahezu alle Sprachen der Welt, das Kisuaheli eingeschlossen, nicht übersetzt.“

Obsessiv war Kofler als Autor. „Sprengmeister aus Villach“ wurde er genannt, Enfant terrible war er, der, wie es einmal bei ihm heißt, „Diatriben“ herausschleuderte, als Orlando kofleriosus, wider Wien und die größere Welt, wider den so genannten Literaturbetrieb und die Kritik, wider Enge, Spießigkeit, fabelhafte Lügengebilde. Umgekehrt wurde er selbst zum Fall der Kritik – dass etwa 1984 die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ eine positive Besprechung wenige Monate später gegentarierte durch einen monumentalen Verriss, war, so weiß man heute, der Versuch der dortigen Literaturredaktion, nachhaltig „Literaturpolitik“ zu betreiben, insbesondere wenn es um österreichische Gegenwartsliteratur ging, welche in Westdeutschland als Exotikum galt und die Normen sprengte. Ob seiner „Beschimpfungskunst“ wurde Kofler auch zum Fall für die Justiz. 1993 wurde er geklagt von einem Journalisten der „Kronen-Zeitung“, den Kofler namentlich in seinem Band „Der Hirt auf dem Felsen“ (1993) angeführt hatte. Die Klage wegen übler Nachrede hob er wiederum in seine Fiktionskunst hinüber, in den Text „Üble Nachrede – Furcht und Unruhe“, welcher 1997 erschien, nachdem der Autor, sein Verlag und ein Buchrezensent im Mai 1994 frei gesprochen worden waren.

Wie stark Kofler in seiner hochkomplex durchrhythmisierten Prosa auf Realien zurückgriff, wie er diese parodierte und travestierte, sie hin- und herdrehte, um sie künstlerisch zu verwenden, zeigt der umfangreiche Stellenkommentar der Sammelausgabe. Diesen erstellten Claudia Dürr, Johann Sonnleitner und Wolfgang Straub für die Werkedition, die die Texte in der Gestalt der jeweils zuletzt veröffentlichten Druckversion präsentiert, also auch jene, die nach dem Jahr 2000 in sacht revidierter Nachauflage im Deuticke Verlag erschienen.
Entrüstung und Angriff waren sein Ausdrucksmedium, die Satire und das Pasquill seine Form, Literatur galt dem Kärntner, wie er es selbst nannte, als Verbrechensbekämpfung. Im Formulieren seiner ungebärdigen, donnernden Prosa setzte Kofler Maßstäbe, ob nun als „Kunst der Verschwörung“, als „Beschimpfungskunst“ oder als „Racheakt“. Schreiben sei, so Kofler einmal, „Bergwandern im Kopf“. Das Ergebnis waren: „Irrsinnskunststücke“. Den präsumtiven Irrsinn bändigte er mittels artistisch gehandhabter Sprache.

„Das Verbrechen hat Namen und Anschrift, nach dieser Maxime bin ich immer vorgegangen“, hieß es in einem seiner wichtigsten Bücher, in „Am Schreibtisch“. Gerade die penible, erstmalige Aufschlüsselung von Namen, Bezügen, direkten und travestierten Zitaten und teils apokryphen Quellen, auf die Kofler eklektisch zurückgriff, die er teils hochaufmerksam bis fanatisch sprachpurifizierend nutzte, lässt die Multidimensionalität seiner Prosa hervortreten. Die chronologisch sukzessive Lektüre von „Guggile“ über „Am Schreibtisch“ von 1988 bis zu „Kalte Herberge“ aus dem Jahr 2004 zeigt das Erarbeiten und Aneignen eines ganz eigenen literarischen Idioms, das über die im Regelfall manichäisch-mechanisch konstruierte Prosa Thomas Bernhards durch größere Melodik und kunstvolleres Mit-Sich-Sprechen und Sich-beim-Schreiben-und-Sprechen-selbst-ins-Wort-fallen hinausgeht.

Schon „Guggile“ demontierte das Sujet des in den 1970er Jahren kurzzeitig modernen Kindheitserinnerungsbuches, war weder larmoyante Anklage noch psycho-nostalgisch schlicht, auch keine Vaterdemontage oder Mutteranklage. Hier war bereits eine Verspieltheit der Form in sich überdeutlich zu sehen. Kofler streute beispielsweise Mini-Dramen ein, eine Gattung, die später der mit ihm befreundete und ihm eine Zeit lang als Quasi-Sekretär assistierende Antonio Fian adaptieren sollte. Bis zum Band „Kalte Herberge“ mit seinen Ausschweifungen, melodisch unterteilten, ausgreifenden Monster-Sätzen perfektionierte Kofler einen kaum zu imitierenden Stil, der in Strudeln sich über die Seiten ergoss und wand, in immer wieder neuen taktilen und sensorischen Wahrnehmungsmodi und Assoziationsketten die Welt als Ganzes rezeptiv einzufangen und (im Wortsinn) zu bannen unternahm.

Auf der Grundlage der vom Robert-Musil-Institut betreuten Werkausgabe, die um einen vierten Band mit so genannten verstreuten kleineren Schriften ergänzt werden soll, wird es künftig möglich sein, vielfältigste Aspekte des Koflerschen Kosmos auszuleuchten. Wie er mit Realien umging. Werner Kofler und das Presse- und Zeitungswesen. Werner Kofler und Samuel Beckett. Werner Kofler und die Rhetorik der ornamentalen Zerstörung. Werner Kofler und seine Verleger: eine literatursoziologische Untersuchung. Werner Kofler und Wien. Werner Kofler und das Selbstreferenzielle. Werner Kofler und die internationale postmoderne Literatur der 1980-er Jahre. Werner Kofler und der Film. Das wären nur einige Themenstellungen, die sich auf der Grundlage dieser Ausgabe und des Stellenkommentars für literaturwissenschaftliche Promotionsarbeiten eignen und anbieten würden. Und ergiebig wären!
Der Kommentarpart mutet „sternheimisch“ an, knapp, kurz, rigide, informativ. Gelegentlich gibt es Zitate aus Unterlagen des Nachlasses (35 Archivboxen), so unter anderem zwei Mal aus Korrespondenz mit dem Verleger Wagenbach und mit dem Rowohlt-Lektor Delf Schmidt, auch Verweise auf erhaltene Dokumente, in Ausnahmefällen längere Exkurse, um bestimmte sozio-politische Konstellationen zu umreißen und erklärend einzubetten.
Hie und da verwundert angesichts der überaus gründlichen Arbeit des editorischen Trios umso mehr, etwa im Finale der hypererregten Prosa „Zerstörung der Schneiderpuppe“, einst in einem Kleinstverlag erschienen, wenn Auslassungen im Kommentar ins Auge fallen, beispielsweise auf den Seiten 236 und 237 von Band II: „Sutterlüthi“ (S. 236), womit die in Vorarlberg aktive Supermarktkette Sutterlüty gemeint sein dürfte. Und ist auf der selben Seite der „Robert“ „aus der Puppenklinik“ nicht eine Anspielung auf Hans Magnus Enzensbergers Fliegenden Robert? Und wieso auf Seite 238 „Chucky“ (gemeint ist die gleichnamige Horror-Komödien-Filmreihe, deren erster Teil „Chucky – Die Mörderpuppe“ 1988 in die Kinos kam, Teil VI „The Cult of Chucky“ im Jahr 2018) nicht aufgeschlüsselt ist, bleibt ebenfalls offen.

Es steht sehr zu hoffen, dass mit dieser sorgfältigen Werkedition Werner Kofler, der so wenig Marktgängige, vom Lesepublikum neuerlich entdeckt wird. Auch wenn Kofler, der Nacht-Arbeiter, der vor seiner Schreibmaschine zu Gericht saß über die dunkle Welt, selbst zu Lebzeiten die Wirkungslosigkeit von Literatur scharf, gegen Ende seines Lebens angesichts ausbleibender Verlagsunterstützung und immer spärlicheren Echos mit wachsender Bitterkeit erkannte und vorformatierte Erwartungen gallig persiflierte. In „Herbst, Freiheit“ etwa findet sich ein fiktives Gespräch zwischen Autor und Lektor, als grotesker Zeitkommentar so prägnant wie rabiat, vor allem anderen aber gründlich hoffnungsbereinigt:
„Kennen Sie übrigens schon meinen Triestroman in einem Satz, nein? Laß Triest aus dem Spiel, sagte sie bitter Gut, nicht? Ah, wie gern würde ich noch kürzere Romane und Novellen schreiben, wie gern würde ich nichts mehr schreiben, überhaupt nichts mehr, aber meine Nichtlesergemeinde, die Millionen und Abermillionen, die nach meiner Literatur nicht verlangen, zwingen mich, damit fortzufahren … Aber keine Frage, irgendwann werde ich alle, die nichts von mir hören wollen, mit Verstummen und Schweigen bestrafen … Und sollten sie noch so sehr nichts von mir hören oder lesen wollen, ich werde mich nicht umstimmen lassen, nicht ich.“

Werner Kofler Kommentierte Werkausgabe
Sachbuch.
Hrsg.: Claudia Dürr, Johann Sonnleitner und Wolfgang Straub.
Wien: Sonderzahl, 2018.
3 Bände im Schuber; 1796 S.; geb.
ISBN 978-3-85449-500-0.

Rezension vom 06.06.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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