Die 1893 (oder 1895) als Tochter des Soziologen Theodor Hartwig Geborene war zwischen 1917 und 1921 als Schauspielerin in Wien, Baden, Olmütz und Berlin engagiert. Nach ihrer Heirat mit dem Anwalt Robert Spira lebte sie in Graz und begann 1923 zu schreiben. 1927 nimmt sie an einem Wettbewerb der „Literarischen Welt“ teil und wird auf Initiative von Alfred Döblin für die Novelle „Das Verbrechen“ ausgezeichnet. Zsolnay publiziert die Novelle 1928 in dem Band „Ekstasen“, der durchaus kontroverses Aufsehen erregte. Das gilt auch für ihr 1929 erschienenes Buch „Das Weib ist ein Nichts“ – sie wird ausgezeichnet, das Buch wird übersetzt und Metro-Goldwyn-Mayer erwägt, einen „Greta Garbo-Film“ daraus zu machen. Das ist eigentlich eine sehr schöne, schnelle literarische Karriere. Doch ebenso schlagartig ändert sich der Zeitgeist, Zsolnay zögert eine Zeit lang und lehnt 1933 sowohl „Bin ich ein überflüssiger Mensch?“ wie auch die Novellensammlung „Quer durch die Krise“ definitiv ab: man wolle das nur andeutungsweise begründen, heißt es in dem Brief, man müsse mit der Produktion äußerst vorsichtig sein und überhaupt – „das Weltbild des deutschen Lesepublikums und besonders der deutschen Frau (sei) heute ein anderes als die Lebensanschauung, die aus Ihrem Werk spricht.“
Das war – von der Publikation „Wunder von Ulm“ in einem Pariser Exilverlag und einigen Kleinigkeiten abgesehen – das Ende dieser vielversprechenden Karriere. 1938 müssen die Spiras nach London flüchten, Mela Hartwig wendet sich der Malerei zu und hat in den Jahren bis zu ihrem Tod 1967 einige überraschende Ausstellungs- und Verkaufserfolge. Ihr literarischer Nachlassverwalter Ernst Schönwiese setzt sich vergeblich für sie ein, doch erst das etwa von Sigrid Schmid-Bortenschlager forcierte Interesse an der österreichischen Frauenliteratur ermöglicht eine allmähliche Renaissance, in deren Verlauf zwei Novellen und die Bücher „Ekstasen“ und „Bin ich ein überflüssiger Mensch?“ publiziert wurden.
Es ist genau die „Lebensanschauung“ der Protagonistinnen von Hartwigs Texten, die dem „Weltbild der deutschen Frau“ so entgegengesetzt ist und das Zsolnay-Lektorat seinerzeit schreckte, die uns heute interessiert. Hartwig präsentiert uns ein breites Spektrum von weiblichen Existenzen in einer von Männern dominierten Welt: glamouröse und durchschnittliche, schöne und hässliche, promiske und enthaltsame, „normale“ und neurotische. Die faktischen (und diskursiven) Orte, an denen ihre Heldinnen ihre Identität finden oder verlieren sind häufig mit einem Tabu versehen und wurden seinerzeit skandalisiert: das weibliche Begehren, der Mutterschaftszwang, die Abtreibung, das Schönheitsideal, die von Vater und Tochter verschieden erlebte Inzestproblematik und schließlich die Ambivalenz des Freudschen Frauenbildes von der Hysterie bis zur Annahme eines prinzipiell männlichen Charakters der Libido. Bettina Fraisl, Mitarbeiterin im Spezialforschungsbereich Moderne der Grazer Universität, hat zur Erstpublikation von „Bin ich ein überflüssiger Mensch?“ ein vor allem biografisch und rezeptionsgeschichtlich instruktives Vorwort beigetragen. Ihre Monografie zu Hartwig geht von einer These aus Wolfgang Riedels „Homo Natura“, einer Studie zu den „Literarischen Anthropologien um 1900“ aus: „Die literarische Moderne verhandelt am Körper das Wesen des Menschen.“
Ein umfangreicher theoretischer Teil stellt Hartwigs Werk in die Sub- und Kontexte: der Leib, das Weib und die Moderne. Für Fraisl ist Hartwig gewissermaßen ein Anwendungsfall von Theorien, die erst lange nach ihrem Verstummen massenwirksam wurden: die Auseinandersetzung um die Psychoanalyse, der Poststrukturalismus, die sozialhistorische Forschung zur „Neuen Frau“ und schließlich die Debatte über den weiblichen Erzählmodus. In gewisser Weise bestätigt sie – mit Foucault – die Einschätzung des Zsolnay-Lektorats: Hartwig war mit ihrer damals als grell erlebten Metaphorik ihrer Zeit voraus. Erst ihre allmählich stattfindende literaturbetriebliche Anerkennung hat sie zu einer „Autorin“ gemacht. In diesem Prozess ist das vorliegende Buch wohl der bisher wichtigste Beitrag, es sammelt auch Erkenntnisse, die weit über den „Fall Hartwig“ hinausreichen.