#Prosa

Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen.

Marlene Streeruwitz

// Rezension von Petra Nachbaur

Marlene Streeruwitz lächelt nicht. Und, obwohl sie den Kopf aufstützt, an sich eine typische Dichter- und Denkerpose, schaut sie auf dem ganzseitigen Porträtfoto im edition suhrkamp-Band nicht „literarisch“ drein, und schon gar nicht wie auf den Lisa’s Liebe-Covers. Marlene Streeruwitz schaut ernst (was bei Frauen dann oft heißt: humorlos), unkokett (was bei Frauen dann oft heißt: streng) und entschlossen (was bei Frauen dann oft heißt: verbissen) in die Kamera. Augen und Mund schmal, nichts aufgerissen, aufgeplustert, rund, voll. Ein abwartender, direkter Blick. Das braucht eine Rezensentin nun weder kümmern noch erwähnen.

Aber Streeruwitz und ihre poetologischen Texte schärfen den Blick für solche „Paratexte“ nach Gerard Genette, für Präsentations- und Repräsentationsformen von Text, die hier stets mit verschärftem Schwerpunkt auf gesellschaftliche Verhältnisse und die ihnen zugrundeliegenden Ordnungen betrachtet werden. Und Streeruwitz benennt den „ersten Blick in den Spiegel am Morgen“, der die Autorposition mit-positioniert.

Klappentext und Autorinnenporträt signalisieren eine gewisse Distanz. Streeruwitz verbündet sich nicht mit den Hörenden ihrer Vorlesung und nicht mit dem Leser ihrer Texte. Es gibt kaum weniger anbiedernde Texte als diese Vorlesungen. Die Dozentin läßt sich freilich nicht ein auf Publikumsbeschimpfung. Sie geht noch einen Schritt weiter; Streeruwitz versucht die Publikumsanalyse: „Und daß Sie hier sitzen, könnte auf diese Sehnsucht zurückgeführt weden. Wie verführerisch, erklärt zu bekommen, wie es richtig ist. Richtig gemacht wird. Wie ordentliche, richtige Literatur gemacht wird“ (S. 14). Kein Wunder also, daß Streeruwitz nichts davon macht. Nicht erklärt, wie „ordentliche“, „richtige“ Literatur gemacht oder erkannt wird. Streeruwitz geht aufs Ganze.

Einstieg in die erste der fünf Vorlesungen ist ein Zeitungsbericht über Massaker in Algerien, über systematische und geregelte, an-„geordnete“ Vergewaltigung. Von dieser Regulierung, vom Ordnungssinn in der Gewalt, führt sie ihre Gedanken zum Ordnungsbedürfnis im allgemeinen, in der Literatur im speziellen. Streeruwitz scheut nicht davor zurück, persönlich zu werden, sehr persönlich, und persönlich zu nehmen, im Widerstand gegen die allgegenwärtig verharmlosende „Nimm’s nicht persönlich“-Abschwächung und Entwaffnung. Streeruwitz nimmt höchstpersönlich, Textproduktion und Textrezeption, kollektive Prägungen und internalisierte Denk- , Fühl- und Verhaltensmuster. Ihr Blick macht nicht halt vor Textsorten wie dem Werbe- und dem Songtext, nicht vor der Heiratsannonce, nicht vor James Bond und nicht vor dem privaten Gespräch mit seinen unbewußten Ausrutschern und seinen entlarvenden Assoziationen.

Zentrale der fünf Vorlesungen ist eine, die die Form der Vorlesung ironisiert und stört durch die Form des „Diavortrags“. Auf einen kurzen Text-Clip folgt ein kurzer Fragen-Teil. Es kann heute nach Streeruwitz nicht mehr darum gehen, wie „in der patriarchal geordneten Poetik“ in Poetik-Vorlesungen „eine poetische Lizenz zu lösen“ (S. 15). Streeruwitz sprengt die Grenzen der Gattung „Poetikvorlesung“, sie spricht nur wenige literarische Texte an – Rilkes Malte beispielsweise oder Auerbachs Dorfgeschichten. Streeruwitz präsentiert aber auch keinen neuen, subversiven Anti-Kanon.

Sie geht immerhin auf ein spezifisches Stilmerkmal ihrer Prosa ein, das konsequente Stakkato, den den Lesefluß hemmenden Punkt, bloß um zu schildern, inwiefern und warum sie auf derartige Fragestellungen nicht eingeht, nicht einzugehen braucht. Sie geht aufs Ganze und dem auf den Grund, spricht und schreibt über die Unmöglichkeiten des Schreibens in dieser Welt, und es geht immer ums Prinzip. Und zwischendurch entwirft sie knappe Ausblicke, Postulate, Forderungen, Wünsche, wie Literatur sein könnte, was Literatur sein könnte und welche Aufgabe ihr zustünde. Und gerade in diesem Aufblitzen einer utopischen Dimension zeigt sich, wie leidenschaftlich ernst es ihr ist mit der Sprache und dem Schreiben.

Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen.
Prosa.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998.
140 Seiten, broschiert.
ISBN 3-518-12086-7.

Homepage der Autorin

Rezension vom 01.09.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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