#Roman

Klopfzeichen

Bastian Kresser

// Rezension von Angelo Algieri

„Draußen ist das Leben, hier drinnen ist es nicht. Hier drinnen sind die Toten. Und gleich werden sie zu sprechen beginnen. Wir werden sie zum Sprechen bringen“, denkt eine der Protagonistinnen, Maggie Fox, im neuen Roman „Klopfzeichen“ von Bastian Kresser. Der bekannte vierzigjährige Schriftsteller aus Vorarlberg legt nach „Ohnedich“, „Piet“ und „Die andere Seite“ nunmehr seinen vierten Roman vor. Allerdings ist die Handlung von Klopfzeichen nicht in Österreich angesiedelt, sondern in den USA Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts. Am Beginn der sogenannten Dritten Großen Erweckungswelle. Denn im Mittelpunkt des Werkes stehen die Schwestern Fox, die es wirklich gab, und die zu den Hauptbegründerinnen des modernen Spiritismus zählen.

Am 31. März 1848 in Hydersville im Bundesstaat New York spricht, so scheint es, der „Tote Riese“ durch die Schwestern Maggie und Kate. Zunächst durch Klopfgeräusche. Die aufgeregte Mutter stellt dem für sie unwahrnehmbaren Geist Fragen, die er in Klopfzeichen richtig beantwortet. Schnell ruft sie einige Nachbar/inne/n und sie sind erstaunt, wie gut der „Tote Riese“ ihre Fragen beantwortet. Es spricht sich schnell herum, so dass bald darüber in Zeitungen berichtet wird. Kates und Maggies deutlich ältere Schwester Leah liest ebenfalls die Berichte und macht sich auf den Weg nach Hydersville, sie wittert ein Geschäftsmodell in ihren Teenager-Schwestern und beginnt die Sitzungen, die bald Séancen genannt werden, auszuschmücken: abgedunkelter Raum, phosphoreszierende Sterne an der Decke, Ouija-Brett usw. Auch an der Dramaturgie wird gefeilt: Die Gäste müssen vor einer Séance warten und wenn sie eintreten lange Schweigen, ehe sie ihre Fragen loswerden können. Das beeindruckt viele Menschen und die Schwestern gehen schon bald auf Tour, zunächst im Bundesstaat New York, dann im ganzen Nordosten der USA. Aber nicht nur auf Neugier und Wohlwollen stoßen die Fox-Schwestern, sondern auch auf Widerstand. Viele Leute sind skeptisch. Um die Bedenken zu zerstreuen, kommt es relativ bald zu einer berstend vollen Veranstaltung in Rochesters Corinthian Hall, wo ein Komitee zusammengesetzt wird, das prüft, ob Maggie und Kate Fox mit Tricks arbeiten. Nach zwei Tagen der Untersuchungen, die die Fox-Schwestern, teils unter unwürdigen Bedingungen, über sich ergehen lassen, verkündet ein Sprecher: „Dies ist übrigens auch die Erkenntnis des unabhängigen Gremiums – dass es sich hier wahrhaftig, zweifellos und mit Gewissheit um ein Wunder handelt und Margaret und Cathrine Fox die außergewöhnliche und übermenschliche Fähigkeit besitzen, mit diesen spirituellen Wesen zu kommunizieren.“ Das ist der endgültige Durchbruch und viele regionale und überregionale Zeitungen berichten davon. Kate und Maggie sind nun endgültig Superstars. Selbst mächtige und bekannte Zeitgenossen zahlen viel Geld für eine Séance, etwa der Schriftsteller James Fenimore Cooper („Lederstrumpf“) und die Gattin des Präsidenten Abraham Lincoln, die im Weißen Haus Séancen abhalten lässt.

Doch diesem Erfolg sind Maggie und Kate nicht gewachsen. Immer mehr flüchten sie sich in Alkohol. Maggie führt gar teilweise ein extravagantes Leben, das von der Klatschpresse begleitet wird. Sie lernt den berühmten Polarforscher Elisha Kent Kane kennen und beide verlieben sich ineinander. Doch ihre Liebe muss jahrelang Geheim gehalten werden. Kane hält vom Spiritismus wenig und möchte, dass Maggie ihm abschwört. Sie soll eine Dame mit guter Bildung und bürgerlichen Manieren werden, da Kane aus der Oberschicht stammt. Er macht dies zur Bedingung für eine Heirat. Maggie willigt ein und erhält, während Kane auf Expedition ist, Anleitung von Kanes Tante, die im Nirgendwo von Pennsylvania lebt. Maggie ist in dieser harten Schule unglücklich, doch sie glaubt an die Liebe von Kane. Als dieser aus der Arktis zurückkommt, heiraten sie zwar, doch ihre Liebe wird durch eine Zeitungsmeldung öffentlich. Und schon bald gibt es in Kanes Familie Streit und das Paar wird geächtet. Zudem zerreißen sich die (wohlhabenden) Leute das Maul. Ein weiteres Ereignis stürzt Maggie bald in tiefe Depressionen …

Autor und Amerikanist Kresser ist durch die Lebensgeschichten der Fox-Schwestern ein genaues Sittengemälde der us-amerikanischen Gesellschaft Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts gelungen. Er zeigt auf, wie weitverbreitet der Spiritismus war und dass dieser sämtliche Bevölkerungsschichten erreicht hatte. Laut Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad waren bereits 1855 etwa zwei Millionen US-Amerikaner der Überzeugung, dass es diese Klopfzeichen-Phänomene gibt. Der Spiritismus entwickelte sich zu einem regelrechten Hype. Ein weiterer Aspekt, den Kresser richtigerweise mit dem Phänomen verquickt, ist die beginnende Frauenemanzipationsbewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, deren Verfechterin Leah Fox war. Und in der Tat waren bei den ersten Kongressen und Meetings Spiritistinnen dabei. Denn mit ihrer Arbeit waren sie vor allem wirtschaftlich unabhängig von Männern – der Spritismus als ein Emanzipationstreiber. Zudem verdeutlicht uns Kresser auch, wie teils erschreckend sittsam und streng die Bevölkerung damals war und wie schnell vor allem Frauen verurteilt wurden.

In seinem Stil knüpft Kresser glücklicherweise weder an die Horrorerzählungen Edgar Allan Poes noch an die romantikverpflichteten Geistergeschichten à la E.T.A. Hoffmann an. Kressers Story ist in einem realistischen, nüchternen Stil geschrieben – und doch lassen uns die Protagonistinnen nicht kalt. Neben den großen Kapiteln aus allwissender Perspektive gibt es auch jene, die jeweils aus der Sicht Maggies, Kates und Leahs erzählen. Kurz: Kresser ist ein großartiger Roman gelungen, der aufzeigt, wie ein parapsychologisches Phänomen die richtigen Schnittstellen geschickt ausnutzt und große Verbreitung findet. Mehr noch: sich verselbstständigt.

Bastian Kresser Klopfzeichen
Roman.
Wien: Braumüller Verlag, 2021.
432 S.; geb.
ISBN 978-3-99200-305-1.

Rezension vom 20.09.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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