#Roman

Kleider des Himmels

Arnulf Ploder

// Rezension von Walter Fanta

Requiem für eine Mutter

Kleider des Himmels ist ein Familienroman, ein Frauenroman, ein Sozialroman. Mit erbarmungsloser Genauigkeit bringt die Schilderung Licht in einen oft heiteren, oft grausamen Familienalltag der 1950-er bis 1970-er Jahre in der österreichischen Provinz. Es geht um drei Generationen, in der Mitte steht Agnes, die kleinbürgerliche Ehefrau und Mutter, mit Rückblenden auf das Schicksal der Frauengeneration davor, bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs, in Gestalt der Schwiegermutter Helene.

Arnulf Ploder hat sich einen strengen, aber gerechten sozialpsychologischen Blick anerzogen; ohne Schonung berichtet er von der strukturellen und personellen Gewalt, die in Familien herrscht. Die Männer errichten wie selbstverständlich ausgeklügelte ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse. Weiblichkeit wird als Defizit gezeigt: Der Körper, die Sexualität als Machtmittel, als Zwang, als Last. Das Licht, mit dem der Erzähler dieses Romans die Verhältnisse grell ausleuchtet, ist seine Sprache. Es scheint, als wäre sie eigens dafür erfunden, um die manchmal kaum noch erträgliche Realität zu penetrieren. Wie eine Sonde fährt diese Sprache durch die Eingeweide intimer familiärer Verhältnisse. Die Menschen bekommen ihre Kontur durch die alltägliche Sprache, die sie sprechen, und durch die vielschichtige Erzählsprache, die von ihnen spricht. Direkte Reden wechseln mit Erlebten Reden aus der Perspektive des Sohnes Paul und mit eingeschobenen Texten aus der Kindheit der Mutter und der Jugend der Großmutter. Diese Sprache tut oft weh! Die Phrasenhaftigkeit kehrt das eingeschränkte Bewusstsein der Personen und die Banalität des Alltags nach oben. Das Defizitäre der Sprache geht einher mit Alltagsverliebtheit, das Benennen der vielen kleinen Dinge wird zur Sucht, die aber in all ihrer Zwanghaftigkeit beim Lesen einen hohen Wiedererkennungswert erzeugt. Das Verfahren nimmt eine literarische Tradition wieder auf, die in der Jugend des Autors en vogue war: Franz Innerhofer, Gernot Wolfgruber, die junge Elfriede Jelinek. Im Mittelpunkt steht der Kampf einer Mutter gegen die Krankheit, gegen die Dinge, die sie haben krank werden lassen – getragen ist diese schonungslose Beschreibung von einem bis in letzte Gründe reichenden Verständnis.

Ende des Schweigens

Nach langer Pause vermochte Arnulf Ploder sein teils vom Schuldienst erzwungenes, teils seiner Akribie geschuldetes Schweigen zu beenden; er beeindruckte die Öffentlichkeit mit Auftritten in den drei Hauptgattungen: 2010 erlebte sein Theaterstück „Gegenliebe“ an der Studienbühne Villach unter der Regie von Manfred Lukas-Luderer die Uraufführung. Das Drama beschreibt Familienstrukturen in der für ihn typischen Mischsprache aus größter Nähe zum alltäglichen Sprechen und poetischer Verfremdung; sie taucht ein in das Leben einer Familie, wo Sehnsucht, Kälte und Distanz herrschen und Liebe bloß als Floskel existiert. Im November 2019 erhielt der „Wortakrobat“ Arnulf Ploder den 12. Kärntner Lyrikpreis der Stadtwerke Klagenfurt, nachdem er mehrere Anläufe genommen hatte, diese Auszeichnung zu erringen, für „seine besonderen Sprachschwingungen“. Das Stück und die Gedichte weisen auf den Roman voraus, an dem er schon längst schrieb, in den Themen und bis in die Formulierungen. Erst die Pensionierung im Sommer 2019 öffnete die Bahn für die Fertigstellung dieses Projekts, im Frühjahr 2020 konnte das Buch im Verlag Bibliothek der Provinz – mitten in der Pandemie – schließlich erscheinen; tragischerweise wurde der Roman zum Requiem Arnulf Ploders, zum Requiem für eine Mutter.

Nachruf für einen ungewöhnlichen Autor

Für Jahrzehnte bildete Arnulf Ploder – geboren am 1. September 1955 in Graz, früh verstorben am 25. August 2021 – den heimlichen Mittelpunkt der Klagenfurter Literaturszene. Er war in der Landesgruppe der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und der IG Autorinnen Autoren aktiv und stand auch dem Kärntner Schriftstellerverband zeitweise nahe. Mit seiner bescheidenen und sachlichen, wenn es sein musste aber bestimmten Art trat er als Vermittler und Schlichter hervor. Sein fulminantes literarisches Entree lag lange zurück; 1986 hatte er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Ernst-Willner-Preis gewonnen. Man erkundigte sich: was schreibst? Er pflegte mit den Achseln zu zucken: die Schule. Arnulf Ploder unterrichtete Deutsch am Mössinger-Gymnasium, und er tat das mit Herz und Hirn. Die Begeisterung für Literatur bei jungen Leuten zu wecken, damit verdiente er sein täglich Brot, das war sein Dienst an der Literatur, in unnachahmlich unaufdringlicher Weise – ich war selbst mehrfach Zeuge in einer seiner Klassen! Er drängte die Literatur den Schüler*innen nicht auf. Er war auch sonst, in jeder Begegnung, einer, der sich zurücknehmen konnte, sehr ungewöhnlich für Lehrer, und für Schriftsteller.

Arnulf Ploder Kleider des Himmels
Roman.
Weitra: Bibliothek der Provinz, 2020.
305 S.; geb.
ISBN 978-3-99028-951-8.

Rezension vom 23.09.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.