#Lyrik

Kein Sterbenswort

Wolfgang Kindermann

// Rezension von Julia Danielczyk

Der im Jahr 2006 von Peter Schaden gegründete fza Verlag (=freie zeit art) hat zum Ziel, junge Autoren zu fördern und ihnen Publikationsmöglichkeiten zu geben. Der Verlag versteht sich gewissermaßen als Nachfolgeprojekt der gleichnamigen Zeitschrift.
Bereits in der Zeitschrift zählte der 1967 in Wien geborene Wolfgang Kindermann zu den wichtigsten Autoren. 2007 legte er nun seine Lyriksammlung Kein Sterbenswort bei fza vor.
Der Titel symbolisiert die Metonymie in menschlichen und geschichtlichen Ausnahmezuständen – das Nichts, die Leerstelle, bekommt in Kein Sterbenswort eine verdichtete, poetische Form.

Kindermann hat seinen dritten Gedichtband in vier Teile gegliedert. Er beginnt mit politischen Gedichten, so fasst er in „Die unter den Trümmern liegen“ Lyrik zusammen, die sich mit der aktuellen Situation im Irakkrieg beschäftigt. Kindermann imaginiert in langen Gedichten Szenen, die in der kalten Sprache der Berichterstattung die Grausamkeiten des Kriegs benennen. Jene, die für die Medien unsichtbar bleiben, die dem sensationsgierigen Blick nicht zugänglich gemacht werden, ruft Kindermann in seinem Gedicht „Die unter den Trümmern liegen“ an. Ihn interessiert der Prozess bzw. der Schnittpunkt, wo die Realität des Krieges medial verpackt wird – als schlichte Berichterstattung oder künstlerisch verdichtet, wie im Film. So etwa in „Spielbergs Liste“, wo die „Bilder vor der Starre des Grauens“ eingesetzt werden, „Zur Veranschaulichung Schauwerte an den Originalschau Plätzen ein Spielfilm Statt der Wochenschau“. In Versalien setzt der Autor die Unverhältnismässigkeit von Gleichzeitigkeiten, neben die Banalitäten der Unterhaltungsindustrie stellt er die echte Tragik des Todes. Dabei geht Kindermann in prägnanten Verdichtungen in die Extreme, so etwa in „Bach in Auschwitz 1-3“. Mit Johann Sebastian Bach im Ohr schicken die SS-Leute das Frauenorchester ins Gas.

Der zweite Teil „Flaggenwechsel“ versammelt Gedichte, die Grenzen abbilden. Kindermann schreibt aus und über das Reisen, den Wechsel in andere Kulturen. Unsichtbar zieht sich die Grenze „auf See“, die Flaggen und Währungen markieren das Andere. „Jetzt die griechische Statt der türkischen Fahne jetzt Euro Statt Lira Ouzo Statt Raki jetzt die Fahrt von Asien Nach Europa die Erinnerung der Zögernde Schritt des Storches die Grenze Unsichtbar auf See.“

Und auch hier verbindet Kindermann wieder Realität mit Imagination, nackte Tatsachen mit der Verdichtung durch die Kunst, die verklärt, verändert, neu erfindet. In „Nikolaos Now“ zitiert er Marlon Brando und Dennis Hopper, bringt APOKALYPSE NOW in Verbindung mit der Bucht vor Gemiler und mit den Mauerresten byzantinischer Klöster. Die eigene Wahrnehmung wird auf den Prüfstand gestellt, „Was ist dein Film was Deine Wirklichkeit.“

Kindermann arbeitet in seinen Gedichten intertextuell, neben Kaurismäkis „Wolken ziehen vorüber“ zitiert er TV-Dokumentationen („Die Kinder von Himmel und Erde“ ) den Spielfilm „Die Reise nach Kandahar“ oder den Roman „Dune“. Alles wird ihm zu Material, er zitiert den Werbetexter Frederic Beigbeder und nicht zuletzt sich selbst. So etwa im dritten Teil, „Helena von der Rolle“, worin er Bezug zu mythologischen Figuren nimmt. Der Mythos wird als Argument für eine kriegerische Gegenwart herangezogen und zugleich ironisiert. Der Trojanische Krieg ist Metapher für die heutige Realität, Helena die FIRST LADY, „wären sie doch tot“, wünscht der Autor in „Wellen Stimmen ODYSSEUS fragment 2“.

Der Tod kann mit eigenen Worten nicht formuliert werden, scheint es, und so sagt es Kindermann mit den Worten Bertolt Brechts, dass dieser „ZU NICHTS GUT IST“. Kindermann – selbst Werbetexter – begegnet der eigenen Schreibe mit Selbstkritik und Ironie. „Du als Beigbeder“ bezeichnet er sich selbst und geht im letzten Teil – der schließlich gleichnamig mit dem Titel der Gedichtsammlung ist – ins Private. Von „Schön bist du“ existieren mehrere Versionen, die – wie auch „Kein Sterbesnwort“ – berührende Liebesgedichte sind, an ein Gegenüber und an das Leben.
Aber es wäre nicht Wolfgang Kindermann, wenn nicht die Entlarvung auf dem Fuße folgte – Liebe und damit Erotik werden jederzeit und unentwegt ausgeschlachtet, „Lachen wir Tränen Bekommen einen Ständer IST DAS GEIL Das Kokain der Medien schon Schnee Von gestern bis zum Nächsten Fall eine Geschichte für die Geschichte was kann Ich noch erfinden Aber SCHWAMM DRUEBER.“

Wolfgang Kindermann Kein Sterbenswort
Lyriksammlung.
Wien: fza Verlag, 2007.
100 S.; brosch.
ISBN 978-3-9502299-0-5.

Rezension vom 05.03.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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