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#Prosa

Kein Platz mehr

Margit Schreiner

// Rezension von Petra Nachbaur

Es wird eng, und es ist schon eng: Nicht nur im Becken vom Hallenbad ums Eck, sondern auch im Basislager am Himalaya oder auf den Bahamas und ähnlichen Hideaways. Wohin man sich wendet: „Kein Platz mehr“. Das gleichnamige Buch von Margit Schreiner dehnt den Platzmangel gewissermaßen aus. Das Erzählen vom vollgestopften Stauraum – überquellende Keller, unzugängliches Material in Dachbodenabteilen, berstende Bücherlager, Verhau und Ansammlung allerorten – führt zum Erzählen von Strategien und Fluchtversuchen und weitet sich aus ins Erzählen von der Vergeblichkeit, von der Vergänglichkeit.

Das erzählende Ich ist Teil des Trüppchens der ausweglos mit dem Quantum Hadernden. Und mehr zum Trotz als zum Trost breitet die Autorin sich aus, auf fast 200 Druckseiten, die sie formal lediglich durch Absätze sowie zwei gute Dutzend Leerzeilen gliedert. Merklich lustvoll und lustvoll saltatorisch gibt sich Margit Schreiner das Weltkramuri in Schauplätzen, Zooms und Panoramaansichten à discrétion.

So wenig Platz, so viel Lärm! Wessen Problem soll das überhaupt sein, der als knapp empfundene Raum, die als fehlend registrierte Ruhe? Besonders betroffen von wuchernder Dingwelt ist jene Generation, deren Vorige ihr dies und das bereits geschenkt, übergeben und hinterlassen hat, und deren Nachfolgende schon aus dem Haus ist. (Nicht, wohlgemerkt, ohne ein Gutteil ihres Krempels zurückzulassen: Den Neuanfang können die Jungen sich auch materiell leisten und dem Willen zum Raum eine Weile lang frönen – bis Frei- und Spielraum von neuem zersetzt werden durch Anhäufung von Klamotten, Medien, Wiedergabegeräten und und und.)

Nur an wenigen Stellen schwillt Schreiners Sarkasmus zu Spott an: „Karla ist auch sehr arm dran. Sie hat vier Immobilien geerbt.“ Oder: „Schließlich muss das Schloss im Winter beheizt werden. Das kostet. Und auch das Studium der beiden Söhne. Und das tägliche Brot. Rudi und Franca haben uns so leidgetan mit ihrem Schloss, dass wir bei unseren Besuchen dort jeden Abend ein gutes Essen mit bestem Prosecco und Wein ausgegeben haben.“

Es sind keine engstirnigen Menschen, deren Bedürfnissen und Bemühen sich Margit Schreiner auf lakonische Weise zuwendet. Keine dekadenten Unsympathler, keine devianten Messies. Es sind Frauen und Männer, oft Paare, die der Wegwerfgesellschaft gebildet und gereift gegenüberstehen. Bruno, Else, Mandi, Maria, Sigi, Willi und wie sie alle heißen sind ZeitgenossInnen mit der Befähigung zu Selbstreflexion, geistig bewegliche und auch anderweitig mobile Bürgersleut‘, die sich dessen bewusst sind, dass gleichzeitig mit ihren sogenannten „kleinen Fluchten“ echte Flucht stattfindet. Und schon kommt so mancher theoretisch geeignete Platz auf Erden auch als vorübergehendes Refugium nicht mehr in Frage: „Wegen der Hungersnöte und Kriege, Genozide, Folterungen und der systematischen Zerstörung natürlicher Lebensräume.“

Gut, dass es Italien oder Japan gibt. Die Erfahrungen des erzählfreudigen Ich, dessen Biografie locker an jener der Schriftstellerin Schreiner entlang gleitet, zeigen allerdings, dass sowohl Land als auch Großstadt friedlich-zivilisierter Wohlstandsgebiete es in sich haben. Eine längere Episode, in der die süditalienische Gegend mit einem prall gefüllten Kofferraum voll Müll abgeklappert wird, auf der Suche nach moralisch vertretbaren Entsorgungsmöglichkeiten, ist gallige Komik. Noch finsterer wird Margit Schreiners Humor beim Stichwort „Höflichkeit“, wenn von Facetten japanischer Umgangs- und Umgehungsformen die Rede ist.

Auf Rede weisen auch die zahlreichen Elemente gesprochener Sprache im Text hin: „Aber, andrerseits Vorteil:“, „Aber egal.“, „Je nachdem.“ Für Dialoge oder wörtliche Rede anderer SprecherInnen ist da „kein Platz mehr“, möchte man einstimmen. Allein Bruno, der im Leben der Erzählerin eine besondere Rolle spielt, ist auch in einigen wenigen überlieferten Meldungen unter Anführungszeichen à la „Schau mir nicht dauernd über die Schulter!“ oder „Scheißkatzen …“ präsent.

Den munteren Griff zum Rufzeichen wiederum – gleich der erste Satz hat eins zu bieten – kennt man sonst eher aus Essay oder Kolumne. „Ja, so verschieden sind die Menschen!“ kann es da dann auch einmal heißen – so viel (Allgemein)Platz muss sein – oder „Ja, wir werden alle nicht jünger!“

Das Temperament der Erzählerin spiegeln kleine Interpunktions-Emphasen: „Im Gegenteil!“, „Ganz im Gegenteil!“, „Sehr peinlich!“, „Sehr kontemplativ!“

Eins dieser „!“ besiegelt nicht nur ironisch den Satz „Die Literatur geht vor!“ Hoch zu schätzen ist die so unprätentiöse wie formbewusste Gestaltung des Schreiner’schen Sprachmaterials, etwa, wenn die Autorin das Geschlechterverhältnis in Schreibworkshops angibt: „meist acht Frauen und zwei Männer oder neun Frauen und zwei Männer oder zehn Frauen und zwei Männer“.

Auch in den Japan-Passagen zeigt sich, wie stark Margit Schreiner nicht nur im Was, sondern erst recht im Wie ihres Schreibens ist: Von den U-Bahn-Einstiegshilfen und Grabsch-Usancen weiß seit geraumer Zeit auch, wer nicht wie die Schriftstellerin Jahre in Tokio verbracht hat. Aber wie Schreiner die Klimax vom „Tee oder Kaffee“-Dilemma über grenzwertige Annäherungsverpflichtungen bis zu Grenzwerten nach Fukushima konstruiert und ausführt, das soll ihr erst einmal eine/r nachmachen.

Manchmal weicht der Grundton, der zum Vortrag einer Hazel Brugger passen würde, plötzlich zurück und macht einer poetischen Melancholie Platz. Existenzielle Fragen stehen im Raum: Wie wird es sein, das Sterben, und wo wird es sein? Auf billig makabre Witzchen im Zusammenhang mit der Unterbringung menschlicher Überreste lässt sich Schreiner ebenso wenig ein wie auf billig politisierende Warnungen vor Überbevölkerung, auf Raumplanungsgesetze für zersiedelte Ballungszentren ebenso wenig wie auf das Gerangel um „Kultur“-Zeilen und -Zeichen in Printmedien.

„Kein Platz mehr“ ist ein subjektiver Eindruck nachlassender, nachzujustierender Lebensqualität. Und dieses Empfinden macht die welterfahrene Autorin, die Psychologie studiert hat, fest: als Gemeinsamkeit unter den freundschaftlich verbundenen Figuren ihres sprudelnd mäandernden Textes, und als reale Befindlichkeit eines, global betrachtet, kleinen, sehr ungleichmäßig verteilten Kollektivs, das durch Begütertheit in die Bredouille gerät und in dem eine ambivalente Haltung zum Behalten Wirkung zeigt.

Die anscheinend unvermeidliche Gattungsbezeichnung „Roman“ wird verlegerischer, insbesondere marktlogischer Konvention geschuldet sein. Leserinnen und Leser, deren womöglich nicht nur aus Romanen bestehende Bücherstapel ihre Bewegungsfreiheit einschränken, seien darauf verwiesen, dass es die neue Veröffentlichung von Margit Schreiner auch als E-Book gibt.

Dieses platzsparende Phänomen lässt die Verfasserin von bis dato 14 Druckwerken lässig links liegen, geht aber in einer anderen Volte auf digitale Be- und Verhältnisse aus Autorinnensicht ein: Seit sie sich mit ihrem Vorlass an die Österreichische Nationalbibliothek gebunden habe, produziere sie, die Erzählerin, eine Schriftstellerin, die laut Selbstauskunft autobiografisch grundiert arbeitet und auf deren Computer sich „alle Textvarianten aller meiner Bücher“ seit dem Jahr 2000 befinden, vermehrt papierene Notizen in Hinblick auf ihren Nachlass.

„Wie ich bei den Verkaufsverhandlungen erfuhr, ist ja gerade das Überflüssige wertvoll. Leider nur das handgeschriebene Überflüssige.“ So ist es nicht Faulheit noch Schlamperei, sondern Ausdruck pragmatischer Vernunft, wenn die Schreibende von Heute „die berühmten Einkaufszettel, auf deren Rückseite die genialen Ideen stehen“ hortet.

Kein Platz mehr.
Roman.
Frankfurt am Main: Schöffling & Co, 2018.
176 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-89561-281-7.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 06.02.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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