#Biografie
#Sachbuch

Karl Kraus

Friedrich Rothe

// Rezension von Peter Stuiber

Die Karl Kraus-Forschung ist zwar umfangreich und vielfältig, hat aber in Sachen Biographie bislang nur zwei Werke hervorgebracht: die in der Reihe der rororo-Monographien erschienene von Paul Schick, und die auf zwei Bände angelegte exzellente Darstellung von Edward Timms, von der bislang aber nur der erste Band erschien ist („Satiriker der Apokalypse“).

Umso überraschender und erstaunlicher ist es, dass nun eine Darstellung zum Leben des Wiener Sprachartisten von einem Autor erscheint, der bislang in der Kraus-Forschung keine Spuren hinterlassen hat. Auf den ersten Blick hat so ein Projekt durchaus seine Reize. Brachte doch das oftmals raunende Kraus-Kriechertum so manches unleserliches Werk hervor. Doch ob Friedrich Rothes Buch mit Recht den Untertitel „DIE Biographie“ trägt, darf bei näherem Hinschauen bezweifelt werden. (Wollen wir gütlich annehmen, dass es der Verlag war, der aus Marketingüberlegungen diesen großspurigen Untertitel dem Autor aufgedrängt hat.)

Doch zunächst einmal Grundsätzliches. Rothes Werk ist nicht biografisch-chronologisch aufgebaut, sondern orientiert sich an den großen Themen in Kraus‘ Leben. Dazu zählen zum Beispiel dessen Beziehungen zum Judentum, die Reaktion auf den Ersten Weltkrieg oder das „Theater der Dichtung“. Dem Autor gelingt es, in den jeweiligen Abschnitten ein lebendiges, anschauliches und trotz der „Unordnung“ letztlich umfassendes Bild des Wiener Schriftstellers zu zeichnen. Erfrischend kann das Buch vor allem dort werden, wo Rothe stärker akzentuiert und andere Facetten als die ohnehin bekannten beschreibt. Ein Beispiel dafür sind die engen Beziehungen zur damaligen Hauptstadt der deutschen Literatur, Berlin, wo der „Fackel“-Herausgeber lange Zeit Fuß fassen wollte, um seinem Werk einen größeren Wirkungskreis zu erschließen (was nicht zuletzt durch den kürzlich publizierten Briefband Kraus-Walden bestätigt wurde). „Für ihn hatte Wien aufgehört, der Nabel der Welt zu sein“, formuliert Rothe pointiert.

Einprägsam beschrieben wird etwa auch Kraus‘ ambivalente Beziehung zu seinem Publikum, sei es als Schriftsteller oder als Vortragender seiner Schriften im Rahmen des „Theaters der Dichtung“. In letzterem Fall musste der Polemiker sich schließlich damit abfinden, dass ein gewichtiger Teil seines Publikums wohl nur aus reiner Spottlust „zum Fackel-Kraus“ ging. Durchaus gefällig ist ebenfalls Rothes wiederholter Versuch, bestimmte Kraus-Klischees zu durchbrechen, etwa dasjenige des manischen, isolierten Einzelkämpfers, der sich jeglichem Einfluss widersetzte. Kraus bediente sich im Gegenteil immer wieder der Hilfe von Freunden und Kollegen, so etwa Paul Engelmanns, dessen Beobachtung und Notizen der Schriftsteller für sein Monumentaldrama „Die Letzten Tage der Menschheit“ verwendet haben soll.

Freilich, so locker und eingänglich der Biograph das alles schildert, neues erfährt man dabei nicht. Wenig erfreulich ist weiters die Tatsache, dass der Biograph mitunter eher schlampig mit den Quellenangaben umgeht und für bestimmte Behauptungen keine Nachweise liefert, was angesichts des beschriebenen Gegenstandes umso schwerer wiegt. Ein Blick in den Anhang hilft einem da auch nicht weiter, da dort keine Bibliographie (und übrigens auch keine Zeittafel) zu finden ist. Letztlich bleibt jedenfalls ein eher zwiespältiges Gefühl: Denn für eine Biographie, die keine neuen Fakten ans Tageslicht bringt, kommt Rothes Buch denn doch ein bisschen zu ambitioniert daher. Dem „Profi“ bleibt nichts anderes übrig, als weiterhin auf die Biographie zu warten. Für den Einsteiger mag Rothes Buch immerhin als Einführung von Nutzen sein.

Friedrich Rothe Karl Kraus
Die Biographie.
München, Zürich: Piper, 2003.
423 S.; geb.
ISBN 3-492-04173-6. 423.

Rezension vom 03.11.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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