#Sachbuch

Juristen als Schriftsteller.

Barbara Sternthal

// Rezension von Alfred J. Noll

Es hat sich herumgesprochen: Nicht wenige Dichter waren in ihrem erlernten Beruf Juristen, und noch mehr Juristen haben sich als Dichter versucht. Die Sache ist dermaßen abgegriffen, dass es schon gehörigen Mutes bedarf, sich dieses Themas neuerlich anzunehmen. Wer wollte nach Eugen Wohlhaupters 3-bändigem Werk „Dichterjuristen“ (1953 bis 1957), nach Hans Fehrs „Das Recht in der Dichtung“ (1931) und „Die Dichtung im Recht“ (1936) und nach Ruth Schmidt-Wiegands materialgesättigtem Überblick über „Recht und Dichtung“ (in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4 [1985]) hier noch Neues beisteuern? Nimmt man hinzu, was in Monographien, Aufsätzen, Festreden und Miszellen über die dichtenden Juristen alles gesprochen (und an ihnen verbrochen!) wurde, dann müssen wir einer dichtenden Theaterwissenschaftlerin, als die sich die Autorin ausweist, nachgerade Verwegenheit attestieren – auf gut 120 Seiten sich Montaigne, Tasso, Goethe, Hoffmann, die Gebrüder Grimm, Grillparzer, Heine, Verne, Stevenson, Kafka, Tucholsky, Drach, Duras und Begley angelegen sein zu lassen, muss entweder in ein kraftloses Wiederkäuen des Bekannten oder in einem luziden Gedanken münden.

Die Durchsicht des schmalen Büchleins schafft Klarheit: Die Autorin hat alle Gedankenarbeit verweigert. Das mag damit zu tun haben, dass sie (im letzten Satz des Buches) ohnedies das künstlerische Schaffen für ein „unerklärliches Phänomen“ hält, dem man durch Gedankenarbeit nicht weiter auf die Schliche zu kommen trachten soll. Wozu dann aber solch ein Buch, das sich mit der spärlichen Wiedergabe einiger Lebensdaten und den kriterienlos aneinander gereihten Publikationen einiger Dichter (und einer Dichterin) begnügt? Sicherlich hat es viel für sich, die behandelten Personen als „Doppelbegabungen“ auszustellen. Allesamt erfreuen sie immer wieder. Aber die von der Autorin gestellte Frage nach dem „rätselhaften Wunder der Begabung, des Talents, der Genialität“ hat bloß rhetorischen Charakter: bei keinem der behandelten Autoren (und bei Marguerite Duras schon gar nicht!) versucht die Autorin auch nur, dem Verhältnis von Recht und Dichtung, von Rechtspraxis und Sprache auf die Spur zu kommen. Die Darstellungen sind weitestgehend verlässlich, man wird in diesem Büchlein kaum etwas Falsches finden – aber wie erschreckend langweilig die Darbietung, die dem Thema, den Dichtern und ihren Werken ganz und gar unangemessen ist. Das heißt nicht, dass es der Autorin nicht gelungen wäre, andere Bedürfnisse zu befriedigen, als da sind: das Bedürfnis des Verlages, knapp vor Weihnachten 2006 noch ein „schönes Büchlein“ auf den Markt zu bringen, das als branchen- und standesgemäßes Präsent sich empfiehlt, das Bedürfnis der „Sachbuchautorin“, am Markt präsent zu sein etc. etc.

Aus diesen und aus anderen Gründen sollte man das Büchlein vergessen. Es gereicht Verlag und Autorin nicht zur Ehre, und uns Leserinnen und Lesern nicht zum Nutzen. Dass sich überdies der Präsident des Verfassungsgerichtshofs hat einspannen lassen, den als „Geleitwort“ übertitelten Waschzettel zu formulieren, grenzt an Peinlichkeit: „Lassen wir uns also ein darauf, Juristen näher kennen zu lernen, die als Literaten gewirkt haben – es wird interessant sein und möglicherweise auch Gewinn bringen.“ Mitnichten! Aus der Lektüre dieses Büchleins lernen wir nichts, und wes Interesse sich an dieser Lektüre entzündet, der muss schon von ganz überdurchschnittlicher Unbelecktheit gezeichnet sein.

Das Thema selbst freilich bleibt spannend. Es gibt eine auffällige „Personalunion“ von Künstler und Jurist, unter den Dichtern der letzten Jahrhunderte waren (unter anderen!) Sebastian Brant, Mathias Claudius, Felix Dahn, Johann Wolfgang Goethe, Christian Dietrich Grabbe, Franz Grillparzer, Andreas Gryphius, Friedrich Hebbel, E.T.A. Hoffmann, Heinrich Heine, Karl Leberecht Immermann, Heinrich v. Kleist, August Kotzebue, Nikolaus Lenau, Christian Morgenstern, Novalis, Martin Opitz, Fritz Reuter, Josef Scheffel, Walter Scott, Robert Louis Stevenson, Theodor Storm, Torquato Tasso, Ludwig Thoma, Kurt Tucholsky, Ludwig Uhland, Jules Verne, Zacharias Werner, Christoph Martin Wieland. Wir können für das Deutschland der Gegenwart Bernhard Schlink, Franz Josef Degenhardt, Peter Chotjewitz und Alexander Kluge ergänzen, wir können in Österreich Peter Rosei anführen und und und … Wenn man hier eine Auswahl trifft, dann sollte sie begründet sein – die Autorin begnügt sich mit dem wenig amüsanten Hinweis, dass ihre Auswahl „zwangsläufig subjektiv“ sei. Das ist sie gewiss.

Noch viel häufiger als die „Personalunion“ von Jurist und Dichter ist freilich eine Art „Realunion“: In vielen Fällen sind der Dichter Stoff, ihr Material, die von ihnen wahrgenommenen und gestalteten Konflikte weitgehend ein und dieselben. Natürlich greifen auch die schreibenden Juristen aus „ihrem“ Leben. Aber sie verfügen als Dichter über einen ganz spezifischen Griff. Denn trotz des auffälligen Zusammenhangs darf natürlich der Fundamentalunterschied zwischen Künstler und Juristen, zwischen Kunst und Recht nicht vertuscht werden. Definitiv vorbei sind die Zeiten, als Jacob Grimm darauf verweisen durfte, dass „Recht und Poesie miteinander aus einem Bette aufgestanden waren“. Die Dichtkunst wird seit geraumer Zeit überhaupt nur noch produktiv, wenn sie sich als Kontraposition zum herrschenden Recht der Zeit versteht. Wenn es Juristen als Makler und Mittler des geltenden Rechts auszeichnet, sich ins herrschende Ordnungsgefüge zu integrieren (und mit welch‘ Eifer sind sie da oft bei der Sache!), dann prägt des Künstlers Sicht immer der Blick von unten – oder zumindest auch von unten. Einerlei wie wir die Emotionalität und die Rationalität der Künstler bestimmen, in den Fesseln staatlicher Gesetze oder überkommener (Rechts-)Bräuche haben sie sich nicht entfaltet. Der Dichter wird derartige Zwangsjacken souverän verachten. Wir brauchen dies hier nicht zu extemporieren, ein Stichwort – diesfalls stammt es vom Rechtsphilosophen Hermann Klenner – muss genügen: „Von Amts wegen hat der Verstand des Juristen über seine Vernunft zu triumphieren.“ Sensibleren Geistern ist dies ein Graus und sie machen sich so ihre Gedanken, und manchmal schreiben sie diese Gedanken dann auch nieder – und wenn wir Glück haben, entsteht Literatur.

Und weil das so ist, sind die Schriften der Literaten den Schriften der Juristen immer vorzuziehen. Es ist gerade die fundamentale und durch keine Hermeneutik einzuebnende Ambiguität der künstlerischen Botschaft, die den dichtenden Juristen als alltäglich notwendiges Antitoxin dient gegen die positivistische Limitierung juristischer Tätigkeit auf eine Tautologieproduktion. Damit ist nicht endgültig der Stab gebrochen über die handwerklichen Leistungen der Juristen – dass aber die Ausübung gerade dieses Handwerks nach „Kompensation“ schreit, ist augenscheinlich. Und allen Dichterjuristen, von welcher Qualität sie auch sein mögen und welch unterschiedliche Einsichten und Aussichten sie uns durch ihre Werke auch geben mögen, ist doch gemein, dass sie durch ihre Dichtung der Gewissheit Raum verschaffen, dass sich Ergebnisse leichter lehren lassen als Haltungen, dass die Algorithmierbarkeit von Gedanken nicht das höchste, und schon gar nicht das einzige Kriterium ihrer Beurteilung ist, dass Wahrheit immer auf dem Weg bleibt, und dass man Systeme nicht in erster Linie durch den Nachweis ihrer inneren Inkonsistenz falsifiziert. Juristen müssen das, so sie ihr Handwerk ernst nehmen, natürlich genau andersrum sehen.

Das Recht zielt auf Entscheidung. Einerlei ob Juristen als Richter, Rechtsanwälte oder Verwaltungsbeamte tätig sind – es will entschieden werden. Die Dichtung weiß um die Fragwürdigkeit des Entscheidens. Es ist letztlich diese Unentschiedenheit in rechtswissenschaftlichen Fundamentalfragen, die gerade Juristen dazu treibt, das Spannungsfeld von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit als Dichter neu abzustecken. Alle denkenden Juristen kommen zu der leicht erzielbaren Erkenntnis einer antinominalen Struktur der Welt des Rechts. Für die klügeren unter ihnen führt dies zu dem damit zusammenhängenden Bekenntnis einer relativistischen, Entscheidungen den anderen nicht abnehmenden, sondern sie problematisierenden Rechtsphilosophie. Diese Idee ist aber schlechterdings unverträglich mit den zwingenden Geboten der alltäglichen Rechtspraxis, oder anders: Des Juristen Einsichten führen durch den Einsatz der den Juristen als Juristen zu Gebote stehenden Mitteln zu keinen erträglichen Aussichten, sondern nur in den täglichen Frust schmerzlich empfundener Unzulänglichkeit.

Gewiss: Man kann die ganze Sache auch ganz anders angehen. Die Thematik selbst, hat man sie einmal gewählt, lässt aber bei Leserinnen und Lesern doch die Erwartung entstehen, dass es sich bei der Beziehung von Dichter und Jurist, bei der Relation von Sprache und Recht um keine ganz unegalen Verhältnisse handelt: die bestenfalls zufallsgenerierte und wohl am vermeintlichen Appeal „großer Namen“ sich orientierende Aneinanderreihung einiger Dichterjuristen durch unsere Autorin muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich auf die ihr selbst gestellte Aufgabenstellung nicht wirklich eingelassen hat. Denn in keinem der durchschnittlich sieben Seiten kurzen Beiträge wird ersichtlich, worin die themenrelevante Spezifik der jeweiligen Dichtung liegt – und ebenso gut hätte man ein Büchlein verfassen können über jene Schriftsteller, denen die Schuhgröße 46 gemeinsam ist, oder deren body-mass-index (BMI) über 25 liegt. Mit anderen Worten: Wer sich durch die mit jeder Seite steigende Langeweile nicht davon abhalten lässt, das Büchlein zu lesen, dem wird durch die Autorin (fast) unzweifelhaft gemacht, dass es zwischen dem Jurist-Sein etwa von Goethe, E.T.A. Hoffmann oder Kafka und deren Werken keinen wie immer gearteten, der literaturwissenschaftlichen Analyse zugänglichen Zusammenhang gibt. Mag sein, dass just dies das bescheidene Ziel der Autorin war.

Alfred J. Noll
2. April 2007

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Porträts dichtender Rechtsgelehrter.
Mit einem Geleitwort von Karl Korinek.
Wien: Österreichische Verlagsgesellschaft, 2006.
124 S.; geb.; Eur 19,80.
ISBN 3-7067-0043-3.

Rezension vom 02.04.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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